Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 24. Mai 1941
den 24.Mai 41
Liebster Mann!
Heute morgen habe ich nun endlich wieder einen Brief von Dir bekommen. Und was macht jetzt Dein Herz? Es beunruhigt mich doch sehr, wenn ich weiß, dass Du nicht ganz intakt bist, und Du musst schnell schreiben, wie es Dir geht.
Wenn ich so lange Tage ohne Post dasitze, werde ich nervöser, als ich zugeben will. Und dass man so gar nicht die Möglichkeit hat, sich schnell mal, wenigstens am Telefon zu sprechen. Ich leide doch oft sehr daruner, so getrennt von Dir zu sein, dass man auf gar keine Weise eine schnelle Verbindung mit Dir haben kann, sondern dass man nur auf Briefe angewiesen ist, die dann wieder lange Zeit brauchen, bis man Antwort darauf bekommt.
Jawohl, wir haben den Muttertag schon Samstag gefeiert und Beitin hat den Strauß auch schon Samstag geliefert. Und auf den Geburtstagstoff bin ich sehr gespannt. Ich habe im Wunschkonzert die reizende kleine Geschichte vom Vater und seinem Sohn gehört und dabei an Dich gedacht und ob Du wohl auch diese Geschichte mithörtest.
Die Omis sind sehr gut gelaunt. Deine Mutter hat sich heute die zweite Partie Zähne ziehen lassen. Alles ging sehr gut und ohne irgendwelche Nachwirkungen, und da sich der Mund in all den Jahren schon zurückgebildet hatte, kann am Mittwoch schon ein Abdruck gemacht werden. Du glaubst nicht, wie vergnügt Mutter nach dem jeweiligen Zähneziehen immer war. Nun ist das Schlimmste ja vorbei. Und trotzdem hat sie heute mittag Rindfleisch und Salat gegessen.
Und die Mu freut sich, weil sie Anfang Juni nach Füssen zu Hansi fährt. Wenn sie zurück-kommt, fährt Deine Mutter nach Hessen, und dann fährt die Mu nach Stettin. Ich wünsche mir vom Schicksal, wenn ich schon keine Reise machen kann, wenigstens einen Urlaub von Dir. Ich beneide die junge Frau Schumann. Sie ist vorgestern Hals über Kopf, weil Willi anrief, nach Thorn gefahren.
Hier müssen sich nun auch alle jungen Mädchen und Frauen in die Stammrolle auf dem Wehrbüro eintragen lassen. Es ist genau so eine Aufforderung mit allem Drum und Dran wie bei Euch und hat bei Nichtbefolgung strenge gerichtliche Bestrafung zur Folge. Jetzt hat Herr Achenbach wieder neue Arbeit.
Wie ich gestern die kleine Novelle bei linz aussuchte, hatte ich auch das Heftchen von E.T.A. Hoffmann „Der goldene Topf“ in der Hand. Ich war unschlüssig, ob ich es Dir schicken sollte. Einerseits hattest Du mich um eine Novelle von Hoffmann gebeten, andererseits konnte ich mich nie für ihn erwärmen und darum habe ich erst mal was anderes genommen. Und da habe ich dann ja recht dran getan.
Schimpf nicht über die schäbigen Zigaretten, Herr Biederbick hat mir keine anderen gegeben. Und ein klein bisschen was muss ich Dir doch schicken. Und wenn Du einen Wunsch hast, musst Du ihn ganz schnell schreiben.
Thea wird ihren Geburtstag heute ja auch nicht richtig feiern in dem unbewohnten Haus und ohne Hans. Aber die können es ja nächste Woche nachholen. Ich werde Dich aber an meinem Geburtstag ganz toll vermissen, denn alles andere ist doch nur Ersatz. Ich werde mir höchstwahrscheinlich meine Bekannten einladen.
Die Sonne bricht gerade durch die Regenwolken und lässt die Tropfen in den Rotdornbäumen aufblitzen. Die Samstagabendglocken läuten, und ich habe mir den Nachmittag sehr schön gemacht. Der Samstagnachmittag gehört bis zum Kinderbaden mir und besteht aus einer guten Tasse Kaffee (bald ist er alle), einem Buch und der Zeitungschrift ´Das Reich´.
Und eben kommt Herr Schüler und legt mir seine ihm geschenkten Zigaretten hin. Da sie eine bessere Marke sind als die ollen Salem von Biederbick tausche ich sie um. Damit Du doch siehst, dass Din Lött Dir gut sein will. Kommt morgen ein Brief? Aber wenn Du auch nicht schreiben kannst, ich schreibe Dir doch jeden Tag.
Von Deinen Kindern willst Du viel hören: Ursel kann leider nicht mehr im Garten spielen. Da ist es zu kalt. Auf der Strasse ist es wärmer, sagt sie.
Klaus und Ursel sind heute zum zweiten Mal, trotz strengen Verbotes, am Rhein gewesen und haben auf einem Brückchen mit Stöcken geangelt. Die haben von mir vielleicht Wichse bezogen und dann habe ich das Mittel angewandt, das auch bei Heidi gewirkt hat. Sie haben kein Fleisch bekommen. Um die Strafe gerade bei Klaus, der sehr dickfellig ist, wirken zu lassen (Ermahnungen, wie bei Helga, gehen bei ihm zu einem Ohr rein, zum anderen raus), habe ich ihn bei Tisch neben mir sitzen lassen und das schöne Stück Suppenfleisch auf der Schüssel vor seinem Platz stehen lassen, damit er so recht sah, wie es nach und nach verschwand und er nichts bekam. Er saß wortlos wie eine Schildkröte während des Essens da und starrte nur immer die Fleischschüssel an und bequemte sich erst zum Essen, als wir anderen gesättigt aufstanden. Bekommen hat er aber nichts, denn dann hätte ich bei ihm das Spiel für immer verloren. Ich bin aber überzeugt, dass diese Strafe bei ihm wirkt.
Ich küsse Dich, Deine Lotti