Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 5. Juni 1941
den 5. Juni 41
Liebster Pappi!
Nun ist der Geburtstagsvorabend. Als besondere Freude leiste ich mir diesen Brief an Dich, denn sonst ist nicht viel was los. Heute ist auch, nach einem kräftigen Gewitter, alles ver-regnet. Herr Schüler sitzt mir gegenüber am kleinen Tisch und richtet seine 'Brocken' zur Abfahrt, die in den nächsten Tagen ist.
Und gestern abend war es sehr schön. Wir hatten ein nettes, angeregtes Thema zum Abendessen, und anschließend schlug Herr Schüler vor, ein Glas Bier trinken zu gehen. Das Wetter war wunderschön, und es war drückend heiß. Dass sich die Omis mit entschlossen, stand zwar nicht im Programm, war aber. Wir gingen vor und suchten einen Tisch im Garten des früheren Vosslerscben Lokals. Es ist neu aufgemacht, hat großen Zuspruch und hat sehr gutes Publikum. Auf einmal klappt die Sache.
Und da, im Garten, saßen Geslers und Wolframms, ein Dr. Quast und Frau Porzelt geb. Mathieu. Wie wir kamen, großes Hallo, und wir sollten uns dazusetzen. Aber das ging ja nun nicht wegen der Omis. Mit denen tranken wir dann unser Bier und unterhielten uns über (bekennende Kirche und Niemöller). Dabei ist Karl Schüler, evangelisch, aus der Kirche ausgetreten und überzeugter Nationalsozialist. Die Sache war also etwas einseitig. Und wir beide schielten immer nach dem Tisch der anderen.
Nun musste aber Schüler um halb 11 Uhr nach Hause, und da schlossen sich die Omis an. Ich blieb da und habe es wahrhaftig nicht bereut. Gesler feierte einen Abschied vom Zivilleben, und das hat bis heute früh 5 Uhr gedauert. Es war herrlich. Nach der kalten Ente gab es mehrere Flaschen Sekt und dazwischen Cocktails und anschließend zogen wir zu Frau Porzelt und aßen Käseschnittchen und tranken wunderbaren Kaffee. Es war ein Abend wie in früheren Zeiten, und ich habe ihn voll und ganz genossen.
Heute morgen war Omi Endemann schlecht auf mich zu sprechen, aber das verging dann. Sie fand mein Verhalten absolut unverständlich und sagte schon gestern abend im Beisein der anderen, als ich noch dableiben wollte: "Das tust Du nicht, Du kommst jetzt mit, wir müssen noch Herrn Schülers Strümpfe stopfen." Wie ein Baby wurde ich behandelt. Und wie herrlich war es, dass ich trotzdem geblieben bin. Ich hatte tatsächlich einen Augenblick gezögert.
(Harald an den Rand, rot unterstrichen: Lotting, ich freue mich mit Dir.)
Ach, und ich habe heute solche Arbeitslust und bin so vergnügt, als hätte ich eine Erholungsreise hinter mir. Und über Dr. Gesler kann man sich ja totlachen, wenn er seine großen Reden hält über das, was ihm blüht. Mit Frau Gesler duze ich mich jetzt.
Von Dir bekam ich heute die Karte aus Scheveningen. Wie müssen sich Pützens gefreut haben, Hast Du Herrn Bern gesehen?
Nach Geburtstag ist es mir noch nicht zumute. Ohne Dich ist es nix. Aber ich habe heute drei Kuchen gebacken, damit sich die Kinder ordentlich ihre Bäuchelchen vollessen können. Zum Kaffee kommt morgen nur Ilse Düren. Frau Gesler kann nicht, weil ihr Mann weggeht, und Frau Schubert bekommt die Anstreicher in die frühere Knoopsche Wohnung. Da habe ich den Kaffee auf die nächste Woche verlegt. Ilse will aber lieber morgen kommen. Da sie die anderen doch nicht kennt, findet sie es schöner mit mir allein.
Oben höre ich noch die Gören, trotzdem es bald halb neun ist. Ursel bekam heute Weihnachtserinnerungen. Sie saß im Sandkasten und sang: "Er ist gerecht, ein Herr von Wert."
Und nun weiß ich nichts mehr. Du bist so weit weg, und wir können uns nur durch Briefe erreichen. Und was soll ich sonst noch schreiben. Da müsstest Du sein, wir müssten uns lieb haben können und diesen Abend zusammen verbringen. Und ich kann nur sagen, dass, weil Du fehlst, mir alles an meinem Geburtstag fehlt. Abeer iich weiss, dass Du an mich denkst.
Lieber, Lieber! Deine Geburtstagslotti