Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 22. Juni 1941
den 22. Juni 41
Liebster Harald,
Die Nachricht von der Kriegserklärung an Russland hat ja wie eine Bombe eingeschlagen. Man wusste ja, dass viele Truppen an der Grenze zusammengezogen wurden und viele, die wir kennen, sind dort, aber daß das kam, war ja doch sehr unerwartet. Irgendwie drückt einen jetzt doch die voraussichtlich lange Dauer des Krieges, und ich habe furchtbar Sehnsucht nach Dir, Dich auch nur einen Tag hier zu haben. Und da Du schriebst, dass Du vielleicht auch fort kommst, weiß ich gar nicht, ob Du überhaupt noch dort bist.
Das Wetter ist knullig heiß. Ich kann die Kinder vor 10 Uhr abends nicht ins Bett tun, und selbst da waren es noch im vorderen Kinderzimmern 27 Grad. Aber ich will über die Hitze nicht schimpfen, sie ist immer noch besser als frieren. Die Kinder entledigen sich jedes Kleidungsstückes hemmungslos.
Die kleine Katze ist noch hier. Ich habe sie am Samstag noch nicht wegtun können (ich will sie töten lassen), und nun fühlt sie sich sehr behaglich. Sie ist noch ein winziges Milchkätzchen, aber anscheinend durch trübe Erfahrungen gegangen. Helga hatte sie gerettet, weil Jungens mit ihr Fußball spielten. Nun schnurrt sie den ganzen Tag. Vorhin saß sie zwischen Jürgens Beinchen im Ställchen, und Jürgen jauchzte, drehte ihren Kopf und Schwanz hin und her und untersuchte mit spitzen Fingerchen ihre Augen. Das hat sie sich alles schnurrend gefallen lassen. Wenn das so weitergeht, wird sie noch alt bei uns.
Heute nachmittag war ich mit allen Trabanten und Frau Linde in Bonn, um Lilli zu besuchen, die als Rot-Kreuzhelferin dort eingezogen ist. Sie ist im Bereitschaftsdienst im König-Museum untergebracht. Sie zeigte uns auch die unterirdischen Luftschutzkeller mit Krankenhaus, Räumen für Gelbkreuz und anderen Gasen, Duschräumen und allem anderen Kram. Das Ganze mit den Maßnahmen für alle möglichen Angriffe wirkte, weil es unterirdisch war, doch unheimlich, so meinte ich. Da sagte Helga leise: "Du hast Recht, Mutti, mich greift auch der Unheim an"
Man kann sich in dieser Sommerstille und bei dem Kindertoben gar nicht den Schrecken des Krieges vorstellen, der in der ganzen Welt ist. Nur abends bekommen wir jetzt mit pünktlicher Regelmäßigkeit Alarm. Heute Nacht pfiffen die Bomben wieder im ganzen Umkreis runter. In naher und weiterer und weitester Entfernung hörte man sie. Um drei Uhr ist dann der Spuk zu Ende, meistens mit dem Schlagen der Pädauhr. Gestern Nacht konnte die Entwarnung nicht sein, weil da immer noch ein Biest rumflog. Ich sah es vom Schlafzimmerfenster aus. Dann warf der Flieger einen Leuchtschirm ab, anschließend drei Bomben und verschwand dann endgültig. Edith sagte, dass
das Deichmannhaus in Köln mit den schönen, eleganten Läden ganz hin sei. Das schmerzt einen ja doch. Gerade für diese Kölner Ecke um den Dom herum habe ich immer eine kleine Liebe gehabt.
Gestern war ich zum Kaffee bei Hillenbrands. Es war noch ein junger Doktor, Erzieher in Trotzendorff, wo Hillebrand Hausherr ist, dabei. Wir gewöhnen uns sehr aneinander, und ich habe die Atmosphäre dort bedeutend lieber als bei Wolframms. Gudrun Klausen wohnt ja im ersten Stock. Nun bekommt sie aber nach den Ferien acht Jungens und muss dann das Essen für diese acht in Hillenbrands Küche fertigmachen. Das wird natürlich weniger schön gefunden, und das kann ich begreifen. Wir haben im Wintergarten sehr schön echten Kaffee getrunken und waren sehr unbeschwert. Das Baby kommt nun in vier Wochen und ist natürlich oft der Mittelpunkt der Themen.
Der Nachrichtendienst bringt soeben die Meldung, dass für einige Tage der Feldpostverkehr von der Heimat an die Front unterbrochen ist. Also kann dieser Brief jetzt wohl nicht weggeschickt werden. Ich werde ihn aber trotzdem in den Kasten werfen, da die Sperre erst von morgen ab gilt. Ich schicke Anneliese zum Bahnhofsbriefkasten.
Ach Liebster, hätte ich Dich hier. Aber Du bist so weit weg. Viele Küsse! Deine Lotti