Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 30. Juni 1941
den 30. Juni 41
Mein lieber Mann!
Vielleicht bekommst Du diesen Brief an Deinem Geburtstag, und deshalb gratuliere ich Dir nochmal und küsse Dich herzlich. Und uns beiden wünsche ich, dass wir Deinen nächsten Geburtstag wieder zusammen feiern. Neben mir sitzt Ursel, sonntäglich angetan, und unterhält mich von ihren neu besohlten Schuhen. Ich habe ihr erzählt, dass Pappi Geburtstag hat, aber sie fragt nur: Ich auch?
Gerade habe ich Kaffee getrunken und muss mir nun für den heutigen Tag noch ein Paar Strümpfe stopfen. Aber erst kommt Dein Brief. Ich habe das Radio angestellt, trotzdem es noch früher Morgen ist, aber heute sollen ja die Sondermeldungen kommen.
Schreibe mir doch bitte, ob der Brief, den ich gestern schickte, dieser Briefwurm mit den Zigaretten, auch angekommen ist. Ich habe das dumpfe Gefühl, als ob er über 100 Gramm wiegt, und die Briefe werden ja vorerst nicht angenommen.
Klaus hat einen Freund Kunito, der in den Ferien zu Hause ist. Gestern nachmittag war er mit ihm in Niederdollendorf. Ich ging ihm entgegen, weil er so lange blieb, und wie er ankam, war er durchaus Mann. Ich fühlte ordentlich den Stolz, einen großen Freund zu haben. Es drückte sich im Gang und im Schlenkern der Ärmchen aus, und als ich fragte, ob es schön gewesen sei, wurde er ganz ungnädig: „Ach Gott, lass mir doch meine Ruhe." Und nun hat Kunito ihm auch noch seine alte Eisenbahn geschenkt. Ich habe ihn selten so außer sich vor Glück gesehen.
Helga schickt auch einen Brief. Sie denkt viel an den Pappi und sagte vor ein paar Tagen: "Ich könnte mich gerade auf die Erde schmeißen und weinen, wenn ich denke, dass mein Pappi so lange fortbleibt." Aber zum Briefeschreiben muss man sie erst gründlich treten.
Ich denke mir, dass ich an Deinem Geburtstag wohl auch den ersten Brief wieder von Dir bekomme. Das war sozusagen eine Briefwüste, durch die wir hindurchmussten. Aber es lässt sich leichter ertragen, weil man weiß, dass es eine Postsperre ist, als wenn man in normalen Zeiten drei tage lang ohne Post sitzt und jedesmal an den Briefkasten läuft.
Abends
Ich kann noch nicht ins Bett finden. Ich weiß aber auch nicht viel zu schreiben. Aber ich muß wenigstens im Brief noch etwas ei Dir sein. Der Tag ist so ereignislos hingegangen, und Omi Endemann ist auch keine vergnügte Gesellschafterin, sie stöhnt ununterbrochen wegen des neuen Gebisses, so dass man direkt mit traurig werden kann. Alle Hinweise, dass andere Leute sich ja auch daran gewöhnen müssen, helfen nichts.
Das waren ja eine ganze Reihe Sondermeldungen, die heute durchkamen. Und ganz fantastische Ziffern: Über 4000 Flugzeuge und über 2000 Panzer. Wenn nun die Russen alles an der Grenze haben aufmarschieren lassen, hätten wir wohl bald alles, und im Inneren könnten sie sich wohl nicht mehr lange helfen. Die Engländer werden da wohl lange Gesichter machen über den neuen Bundesgenossen, der so schnell das Rennen kriegt.
Und jetzt sitze ich hier und weiß nicht viel. Ich mache zwischen jedem Absatz lange Pausen und denke an Dich und an alles mögliche, was uns beide betrifft, aber das lässt sich nicht alles zu Papier bringen. Ich wünsche bloß, Du wärest mal wieder hier und man könnte mit Dir sprechen und nicht immer bloß die ollen Briefe schreiben. Außerdem ist es halb zwölf. Ich küsse Dich herzlich, lieber Geburtstagsmann! Deine Lottikind Din Lött.