Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 2. Juli 1941
den 2. Juli 41
Mein liebster Mann!
Nun ist der Vorabend von Deinem Geburtstag, und ich bin so weit weg von Dir und weiß garnichts. Ich weiß nicht, ob Ihr noch dort seid, ob Du jetzt mit Pützens zusammen bist oder ob das nichts geworden ist, ob Du heute abend feiern kannst oder ob Du Spätdienst hast. Ich weiss nichts von meinem Mann, als dass er irgendwo in einer Umgebung, die ich nicht kenne, lebt und eine Tätigkeit hat, von der ich auch keine Vorstellung habe. Wenn wenigstens die Postsperre soweit überbrückt wäre, dass ich den ersten Brief von Dir bekomme. An den reihen sich dann die anderen an, und dann ist wenigstens nicht nur die gedankliche Verbindung da.
Deinen Geburtstag heute abend feiere ich an, indem ich viel an Dich denke. Und lieb an Dich denke und mir viel Schönes für die Zukunft für uns beide ausdenke. Einmal wird ja der Krieg zu Ende sein und dann wird’s schön.
Jetzt kommt der Acht-Uhr-Nachrichtendienst, und unsere Helga, die mit Kunito auf dem Burgfriedhof war, ist noch nicht wieder zurück. Oben höre ich auch noch die beiden Kleinen laufen. Klaus hat heute sein Sündenregister wieder voll. Trotzdem ich ihn durchhaue, haben Schlüssel für ihn eine unwiderstehliche Anziehungskraft, und die Schlüssel vom Wäscheschrank und vom Kinderzimmerschrank sind schon wieder fort. Und dabei weiß der dumme Bengel noch nicht einmal, wo er sie hingetan hat. Helga wusste es wenigstens immer.
Ich habe für drei Wochen die kleine Erika Waters von diesem Studienrat zur Hilfe bei mir. Alle B.d.M.-Mädels müssen nämlich drei Wochen in einem kinderreichen Haushalt oder in der Landhilfe Dienst tun. Sie ist sehr nett, und es hilft doch. Übrigens ist Helga gerade nach Hause gekommen. Sie haben zuerst auf dem Friedhof Verstecken gespielt hinter den Grabsteinen, und dann sind sie zur Großmutter Randel gegangen. Nun isst sie unten mit großem Appetit ihre Bratkartoffeln, hinterher Blatz mit Schwarzbrot und Rhabarber. Nun ist Heidi wieder weg, die sie suchen sollte.
Ich habe heute gehört, dass Franz Engels in Russland einen Kopfschuss bekommen hat und ein Auge verloren hat.
Heute kam die Rechnung vom Buchladen Linz über die kleine standhafte Katri. Ich habe sie bezahlt, ebenso sind vom Konto 17,10 Sollzinsen abgeschrieben worden. Dies nur zu Deiner Information.
Ja, und dann was Godesberger Klatsch. Weißt Du schon, wer der Schwager von Rittmeister Engels ist? Bubi! Bubi mit der ewigen Freundin, der alle Godesberger Lokale absitzt. Passt gar nicht zusammen, findest Du nicht auch?
3. Juli, Pappis Geburtstag
Ich bin gestern erst spät ins Bett gegangen, und als ich kam, wurde Helga wach. Da haben wir zwei uns lange von Dir unterhalten und haben abgewartet, bis es zwölf Uhr schlug und Dein Geburtstag anfing, Deine beiden Frauen. Und Helga stellte
fest, dass ihr Pappi so schön lachen kann, hoch und runter und dass sie sich das genau vorstellen kann.
Heute hatte ich nun gedacht, dass zur Feier des Geburtstages Nachricht von Dir gekommen wäre. Jetzt fängt das dumme Warten an. Heute nachmittag gab es Dir zu Ehren für die Kinder Brötchen mit Erdbeeren und für jeden eine große Lutschstange, die Stendebachs gerade hatten. Und ich habe oben mit Deiner Mutter Kaffee getrunken und auch Brötchen mit Erdbeeren gegessen. Das war aber weniger schön, denn Mutters Stimmung gerät immer mehr auf den Nullpunkt, so dass ihr sogar die Kinder ausweichen. Jetzt liegt die Reise vor ihr, die in etwas anderthalb Wochen steigen soll, und mich hält sie für herzlos, weil trotzdem heute keine Post von Dir gekommen ist, ich zum Kaffee das Radio eingestellt habe und aus Holland Tanzmusik bezogen habe. Sie lässt sich so gehen in ihrer Stimmung und wirft mir sogar vor, ich mache mir aus den Kindern nichts, sie seien mir nur eine Last und sie weine oft nachts bittere Tränen darüber, dass ich keine Liebe zu den Kindern hätte. Das hat sie heute wahrhaftig gesagt. Verteidigen nützt gar nichts, aber sei nicht böse, ich muss wenigstens Dir das sagen. lmmer runterschlucken, dadurch könnte man eines Tages platzen. Und die Mu bleibt noch länger "mit echt hechtlischer Verantwortungslosigkeit" in Füssen, das kriege ich nun auch aufs Butterbrot.
Vielleicht ist es nicht richtig, dass ich Dir das immer schreibe, Pappi. Meistens zerreiße ich den Brief ja auch, aber wenn ich es getippt habe, ist der Druck weg, ich kann nicht mehr platzen und bin wieder guter Laune. Und Du nimm es bitte nicht tragisch, ich tue es auch nicht. Es ist in allen Fällen so, wo eine Schwiegertochter mit der Mutter des Sohnes zusammenwohnt. Es kommt hier so stark vor wie bei Schwiegermutter und Schwiegersohn. Ich habe jetzt wieder gelesen, dass das durch die besondere Bindung kommt, die die Mutter an den Sohn bindet. Dass Deine Mutter sehr ausfallend werden kann, weiß ich ja. Meine Bekannten, ob Lollo, Frau Gesler, Frau Hillenbrand oder Holtmann, sie taugen alle nichts, sind "Weiber von heute, ohne Verantwortungs-und Pflichtbewusstsein und können weiter nichts, als sich auf die faule Haut legen". Das ist doch zumindest übertrieben.
Puh, jetzt muss ich Luft schnappen, und jetzt erzählen wir uns noch allerlei Hübsches. Ich hatte mich auf unser Kränzchen morgen gefreut, aber Frau Schubert und Frau Holtmann verreisen für einige Zeit. Überhaupt wird feste verreist, trotz Krieg und Bahnbeschränkung.
Jürgen hat heute vormittag in seinem Ställchen, das jetzt auf den Steinen hinter dem Haus steht, Besuch vom kleinen Eberhard Schwinger bekommen. Die beiden wussten aber nicht viel miteinander anzufangen und beguckten sich wie fremde Tiere. Jürgen ist ein intelligenter kleiner Bursche und nicht so müd wie Klaus.
Und nun nehme ich Dich in den Arm und wünsche uns beiden einen recht baldigen Urlaub. Ich küsse und drücke Dich und wünsche Dir alles Gute. Meine Gedanken sind bei Dir und sehr lieb. Der Tag heute ist sehr schwer, aber den anderen geht es ja nicht anders. Bloß dass der Gedanke einem nicht viel hilft. Wenn Du hier wärest und wäre es nur für einen Tag. Es zerreißt mich fast, so gar nicht zu wissen, wo Du bist.
Deine Lotti