Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 4. Juli 1941
den 4.Juli 1941
Mein lieber Harald!
Post von Dir habe ich immer noch nicht bekommen. Jetzt, nach Tisch, habe ich mich in mein Dorado zurückgezogen und wünsche, eine halbe Stunde mindestens von keinem gestört zu werden. Der Vormittag war nämlich lieblich. Freitag, Putzen aller Zimmer, Regenwetter und fünf unnütze Rangen, die reif für Ohrfeigen waren. Heidi hat trotz Verbotes mit meinem Wasserglas vom Kinderbalkon aus die Leute begossen. Dabei ist ihr das Glas aus der Hand gefallen und natürlich kaputt gegangen. Erst wollte ich sie versohlen, aber dann habe ich sie ihre Sparbüchse holen lassen, und sie musste so lange dran rumpuhlen, bis sie fünfzig Pf. für ein neues Glas zusammen hatte. Da-bei hat sie mehr geheult wie bei ein paar Klapsen, und ich war nahe daran, ihr alles zurück-zugeben. Aber ich muss die Rangen jetzt empfindlich strafen, sonst wächst mir die ganze Bande über den Kopf. Sie sind nämlich furchtbar unordentlich, Fräulein Helga an der Spitze.
Und dann haben sie einen neue tick. Sie wollen barfuß laufen. Trotz Verbotes tun sie es immer wieder und zwar völlig unmotiviert und stellen die Schuhe dabei irgendwo auf der Straße ab. Ich habe vierzehn Tage lang einen Kampf dagegen geführt und zwar mit Wuchse, denn auf einfache Verbote hören sie ja nicht und nun ist es etwas besser geworden.
Weisst Du, trotz allen momentanen Ärgers, der einen befallen kann, muss ich ja doch immer wieder über die Urlebendigkeit lachen, aber manchmal meint man, man steckt in einem Heuschreckenschwarm, und aus den fünf sind fünfzehn geworden. Auch Jürgen macht jetzt viel Arbeit. Stubenrein ist er noch nicht, und man kann den Bengel viermal am Tag umziehen. Im Ställchen bleiben will er auch nicht mehr, in den Sandkasten will er mit den anderen spielen. Dann hat er auch den Schlüsselfimmel bekommen. An die Tür-schlüssel kann er ja noch nicht, aber kein Schubladen- und Kommodenschlüssel ist vor ihm sicher.
Samstagabend
Morgen sind es vierzehn Tage, dass ich keine Post von Dir bekommen habe. Dass es nicht an Dir liegt, weiß ich ja, aber Sehnsucht und Unruhe steigern sich immer mehr. Und vielleicht muss ich noch sehr lange auf Post warten, Professor Eckardt hatte jetzt zwei tage Urlaub bekommen und seine Frau ist für diese Zwei Tage eigens von Graz nach hier gereist. Wie kann ich das verstehen.
Bitte, beide Großen erscheinen eben in ihren Nachthemden und behaupten nicht schlafen zu können. Heidi turnt auf dem Sessel rum, und Helga lehnt sich an mich und liest, was ich schreibe. Und hat dabei die Finger im Mund. Rechts und links von mir sitzen sie jetzt und schlagen vor, was ich Dir alles schreiben soll. Heute nachmittag habe ich die beiden mit Klaus in Omi Hechtles Garten geschickt, um Erdbeeren zu pflücken. Pechrabenschwarz sind sie wieder nach Hause gekommen, nachdem sie erst bei Taute Hanna einen Besuch gemacht hatten. Helga liest es und lässt bestellen, ich soll Dir schreiben, sie hätten da Zuckerklümpchen bekommen. Heidi findet, dass ich Dir nicht solchen Blödsinn schreiben soll. Ausserdem hat sie heute ihren zweiten Zahn verloren, Helga den vierten.
Wie kann ich Dir jetzt einen sehnsuchtsvollen Brief schreiben, dass ich so auf Deine Post warte, wo die beiden mich jetzt in die Klemme nehmen, dass ich kaum die Arme bewegen kann um überhaupt zu schreiben. Und dazwischen reiben sie ihre Nase an meiner und sind sehr übermütig.
Ich mache jetzt Schluss, weil ich früh ins Bett gehen will. Die Tommys kommen ja doch und wach ist man während der Zeit doch. Gestern war ich im Film ´Sieben Jahre Pech´ mit Hans Moser und Theo Lingen. Es gab sehr viel wirkliche Situationskomik. Ich habe manchmal laut gelacht und das aus meiner schadenfrohen Natur raus.
Ich küsse Dich, ich habe Dich lieb und habe große Sehnsucht nach Dir. Ich darf garnicht daran denken, daß es vielleicht noch bis zum Herbst dauert, ehe wir uns wiedersehen. Deine Lotti.
Einen schönen Gruß. Deine Räuber Helga.