Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 13. Juli 1941

den 13.7.41

Liebster Harald!

Draußen rauscht seit zwei Stunden ein Gewitterregen - es war auch höchste Zeit - über mir zittert die Lampe von dem Getrampel von fünf Paar Füssen, und ich habe bis eben gelesen. Ein Leihbuch: Annette im Zwielicht von Elisabeth Schucht, derselben, die das Buch: weg in eine andere Welt schrieb. Das Zwielicht ist in diesem Fall das vierzigste Lebensjahr, noch oder schon. Genau das, was ich Sonntagsnachmittags gerne lese. Und dann, nachdem ich ein paar Stunden gelesen und teilweise auch geschmökert habe, fiel mir ein, dass Du unbedingt einen Brief bekommen musst.

Wenn ich bloß wüsste, ob Du schon in Deutschland oder noch in Holland bist. Ich hatte schon vor drei Tagen einen Brief an Dich geschrieben, er liegt noch hier neben mir, weil ich nicht weiß, ob ich die Adresse nicht verfrüht darauf geschrieben habe. Nun kann er dann morgen mit diesem zusammen losziehen. Ich nehme doch an, dass ich morgen von Dir Post bekommen.

Vorgestern abend war ich bei Wolframms und habe unter verschiedenen anderen auch einen Herrn kennengelernt, der Marine-Artillerist in Wilhelmshaven ist. Er erzählte, dass die Urlaubssperre aufgehoben ist und er am ersten Tag nach hierhergefahren ist. Ist auch für Euch die Sperre aufgehoben? Lohnt es sich, dass ich nach dort kort komme? Es würde ja erst nach dem Ersten sein. Aber wenn ich wüsste, dass Du dann vielleicht vierzehn Tage später hier wärest oder so, dann führe ich nicht. Du mir also schnell mal schreiben. Wären wir natürlich Krösusse, oder wenigstens halbe, führe ich auch so, denn der Gedanke lockt mich ungeheuer, vierzehn Tage dort oben bei Dir zu sein, Meer, oder vielmehr Watt, Geest und Marsch mal gründlich kennenzulernen und durch Husum zu laufen.. Es wäre für mich eine ausgesprochene Erholungsreise. Und das alles mit Dir zusammen. Es wäre beinahe so, als wenn wir zusammen eine Sommerreise machte. Beinahe.

Helga will mir den Inhalt ihrer Sparbüchse für meine Reise schenken. Ist das nicht lieb? Bloß, alle Kinder wollen nichts davon wissen, dass Mutti vielleicht für vierzehn Tage wegfährt. Es erhob sich allgemeines Jammergeschrei, als sie es hörten.

Mutter fährt nun übermorgen. Sie hat sich ein sehr hübsches Kleid und eine Bluse machen lassen und noch eine Bluse gekauft. Das Kleid ist schwarz-weiss, ganz klein kariert und aus Seide mit einer dazugehörigen schneiderähnlichen Jacke aus demselben Stoff. Sehr nett.

Ich habe gestern an Hans und Thea einen langen Brief geschrieben. Ich weiss nicht, ob sie noch leben. Ich habe seit Mai nichts mehr von ihnen gehört, und die Mu auch nicht. Thea hat ja kein

Mädchen, und da schlagen wohl die Haushaltwogen über ihr zusammen. Damit sie noch wissen, wie ich aussehe, habe ich ihnen das Bild von mir geschickt (auf der Couch und lesend) und für Hans 200 Gr. Fleischmarken. In diesen heißen Tagen kann ich so viel anderes machen, und Hans wird sich bestimmt darüber freuen.

Ich habe Dein Bild hier neben mich auf die Couchrolle gestellt. Aber Du siehst immer an mir vorbei. Ich möchte Deinen Kopf rumdrehen nach mir hin.

Jetzt kommt auch sicher Wilhelm Lichtschlags Frau? Interessieren würde es mich, ob man an einem Tag von hier bis dort kommt. In Hamburg zu übernachten wäre nicht gerade mein Wunsch. Frau Eisfeller hat mir jetzt auch wieder eine Schilderung von der Kölner Nacht gemacht, die sich mit dem deckte, was mir Duhme erzählte. Weißt Du, ein Großangriff auf Hamburg ist so gut, als wenn man eine grosse Schlacht mitmachte. So ungefähr war es in Köln auch. Duhme hat Recht, im Feld kann sich der Soldat wehren und kann die nötige Wut loswerden, während man hier alles hilflos aushalten muss. Mittlerweile fährt wenigstens wieder die Linie 10 in Köln. Und die Pioniere arbeiten und sprengen feste.

Wolframm und Kampf erzählten, dass der Tommy von ihrem Betrieb, den Ringsdorffwerken, vor drei Nächten Blitzlichtaufnahmen gemacht hätte. Da werden wir wohl auch bald fällig sein. Die Bomben heute nacht sind zweihundert Meter von Wolframms Gebiet in eine Gärtnerei eingeschlagen.

Draußen regnet es noch immer weiter. Es wird wohl auch den Abend über so bleiben. Ich gehe nachher zu Wolfamms, dort bin ich heute abend wieder eingeladen. Aber am meisten liegen mir doch von allen in der Nähe Frau Hillenbrand und Frau Holtmann.

Ach, Harald, der Gedanke wäre o schön, uns in drei Wochen vielleicht zusammen zu wissen, hier oder da.

Eben komme ich von Wolframms zurück, es war ein sehr netter, angeregter Abend. Pappi, was hältst Du davon? Wolframm riet mir, jetzt bei Alarm in den Keller zu gehen. Er habe das bisher auch nicht getan, tue es jetzt aber auch. Er rechnet, dass die Werke jetzt wohl drankommen, nach dem Photographieren, und wenn man bedenke, dass alle die letzten Bomben, Nachtigallental, Lannesdorf und Niederbachem, ja wohl auch dem Werk gegolten haben, so könnten sie das nächste Mal, je nachdem, wie der Flieger anfliege, innerhalb Godesbergs runterkommen. Das leuchtet mir auch ein, denn die Bomben, die auf der Marienburg runterkamen, galten ja auch den Brücken und das ist so weit fort, wie wir von den Werken. Das macht miich nicht gerade ruhiger, aber wir müssen mit rechnen. Was meinst Du? So ein kleines bisschen fachkundig bist Du jetzt ja auch und ich bin in der nächsten Zeit mit den Kindern und Anneliese ja allein. Hältst Du es für richtig, dass wir bei Alarm wenigstens in die Berufsschule tigern? Aber in Köln sind jetzt bei dem letzten Angriff 70 Personen in einem öffentlichen Keller unter einer Kirche verschüttet worden und konnten nicht gerettet werden. Es würde mich sehr beruhigen, darin Deine Meinung zu wissen. Du bist eben doch meine Instanz in allem.

 

Eben kommt Dein langer Brief. Ich antworte nachher, damit diese Briefe wegkommen. Ich habe den anderen noch nicht geschickt, weil ich nicht genau wußte ob Ihr schon wart. 10000 Küsse. Deine Lotti. Ich schreibe nachher