Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 5. August 1941
den 5.8.41
Liebster Mann!
Heute morgen bekam ich Deinen ersten Brief aus Wangerooge. Und nun fange ich an, die Tage zu zählen, bis Du da bist. Hast Du der Mutter geschrieben, dass Du in Urlaub kommst, oder willst Du es von hier aus tun? Sie ist dann doch direkt da, und wir hätten noch ein bis zwei Tage für uns. Außerdem bereite ich alles viel lieber allein vor, das ist viel vergnügter.
Ich habe Dir nun ein paar Tage nicht geschrieben, aber es ging wirklich nicht. Vorgestern, an Helgas Geburtstag, bin ich wie gerädert ins Bett gefallen. Ich habe ihr den Geburtstag wunderschön gemacht und ihren Freundinnen hat es auch sehr gut gefallen, so gut, dass sie nun alle jeden Tag wiederkommen. Über Deinen Brief hat sie sich sehr gefreut, und sie war sehr stolz. Es saßen vierzehn Kinder am Tisch, Helga mit einem Rosenkränzchen obenan. Zum Schluss wurde Topfschlagen gemacht (alle vierzehn im Vorgarten) mit Mordsgeschrei, und dann gab es Pudding und ich komplimentierte alle sanft nach Hause.
Gestern haben mich Silbermanns abgeholt, erst zu Dreesen und dann ins Hotel Rheinland. Sie sind der Typ des Egoisten. Aber ich habe mich doch amüsiert: Willi, sag ich immer zu meinem Mann, Willi – und dann muss Willi hören, was sie in ihrem Geiste ausgebrütet hat. Mit ihrem Schwiedersohn scheinen sie sich augenblicklich garnicht gut zu verstehen. Der tut ihnen zu wenig. Er arbeitet in einem Rüstungsbetrieb und wenn er Abends nach Hause kommt, weigert er sich, auch nur einen Strich an seiner Agrippinasache zu tun. Immerhin verständlich.
Hinter mir spielen Ursel un Klaus. Ursel stand heute mittag mutterseelenallein auf der sonnenhellen, mittäglich stillen Straße und sang in allen Tonarten: "Du meine liebe Mutti."
Nebenan in der Küche kochen noch einmal 20 Pfund Rhabarber.
Heute morgen traf ich Frau Major Hartmann. Ihr Mann, der immerhin 65 Jahre ist, wollte nicht zu Hause bleiben und ist nun bei einer Feldkommandantur kurz vor Petersburg, und das alles, trotzdem er ein nicht ganz ordentliches Herz hat. Es ist doch gut, dass es außer Miesmachern auch solche Leute gibt.
Von der Mu bekam ich heute die erste Karte. Sie ist Gold wert.Sie fängt an: Liebe Lotti, wie wirst du fertig, zahle doch bitte von den 30 Mark Guthaben bei dir 20 Mark Steuern, und dann geht es los: Eierschein, Seifenschein, Preisstopbehörde, Kleiderkarte, Post benachrichtigen, Schuhe zum Schuster, aber von dort erzählt sie nichts. Der letzte Satz hat mich allerdings mit dieser wunderschönen Karte wieder ausgesöhnt. Er heißt: „Hans sagte gestern, er möchte Harald so gerne zu sich ins Geschäft bringen, ich sagte, dann käme ich auch, allein bliebe ich nicht zurück. Er mag Dich und die Kinder so gerne. Thea würde sich auch freuen. Das sind ja erst Gedanken. Vielleicht wird was draus.“
Das wäre doch auch ein wunderschöner Zukunftsausblick, meinst Du nicht auch?
Die Engländer haben uns die letzten drei Nächte trotz taghellen Mondscheins komischerweise in Ruhe gelassen.
Ich habe doch noch ein paar Stormnovellen in der Pädabuchhandlung erwischt in der Reklamausgabe: Psyche, Halligfahrt, Drüben am Markt. Jetzt, wo man die Stadt kennt, kann man jeden Weg verfolgen, den die Leute gehen.
Über Deinen Novellenversuch habe ich mich sehr gefreut. Wie lässt Du sie ausgehen?
Ich habe nicht die richtige Ruhe zum Schreiben. Der rhabarber stört mich, ausserdem beunruhigen mich Klaus und Ursel.
Viele Küsse. Deine Lotti