Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 6. Oktober 1941
den 6.10.41
Mein lieber, mein allerliebster Mann!
Ich schreibe dir jetzt schon mal einen kurzen Brief, denn sonst dauert es zu lange, bis die Briefkette wieder ins Rollen kommt, würde ich sagen, aber dann würdest Du wieder lachen über meine Satzbildungen. Den richtigen Ausdruck dafür finde ich im Augenblick nicht.
Es ist jetzt kurz nach fünf. Ob Du schon auf Deiner Insel bist? Es war mir gestern furchtbar jämmerlich zumut, als ich vom Bahnhof nach Hause ging. Dann habe ich. mich aber, trotzdem es Sonntag war, in die Arbeit gestürzt und angefangen nachzuholen, was in diesen vierzehn Tagen versäumt war. Ich habe geordnet und ausgepackt, habe die Kindersachen geordnet, die Wintersachen nachgesehen, Deine Negative in einen Kasten getan, gestopft und tausend Dinge getan. Das Gefühl zu merken, wie sich alles wieder in Ordnung verwandelte, machte Freude, aber wenn ich nur einen Augenblick stillsaß, bekam ich ein solches Gefühl des Verlassenseins und der Trauer und Leere, dass ich sofort wieder arbeitete. Abends habe ich dann die fünf Blagen gebadet, und um halb 10 war ich von der Schufterei so müde, dass ich im Bett sofort eingeschlafen bin.
Hätte ich das nicht getan, ich hätte nicht gewusst, wohin mit diesem leeren, verlassenen Gefühl. Und heute habe ich es genauso gemacht. Aber heute Abend gehe ich mit Frau Hillenbrand in den 'Gasmann' mit Rühmann.
Helga ist natürlich auf der Kirmes. Gestern nachmittag hat sie sich von mir das Puppenzimmer geben lassen und hat es entzückend aufgeräumt, mit Deckchen verziert, Blumen aufgestellt usw. Dann ging sie für einen Moment runter. Klaus kam, sah die Pracht, nahm Bauklötze und sagte: "Da kann ich fein Bomben spielen" - Rumms, und die ganze Pracht war hin, und für einige Minuten wieder doppeltes Geheul, Helga, weil ihr das Zimmer zerstört war, und Klaus, weil ich ihm ein paar auf den Hosenboden gab, denn die Spielsachen seiner Schwester gehen ihn nichts an.
Wir haben wieder geheizt, denn mit Deinem Weggang ist auch die Sonne wieder fort. Ich habe der Mu die Rechnung von Düren geschickt. 90.- Mk. Die Mu wird wohl einen Luftsprung vor Entsetzen machen.
Ich kann es mir noch nicht vorstellen, dass Du schon wieder so weit weg bist. Ich meine, Du müsstest zu Tür reinkommen. Und noch viel weniger vorstellbar ist der Gedanke, dass ich jetzt vielleicht 10 oder 12 Monate warten muss, bis Du wieder kommst. Aber wenn Du Weihnachten
keinen Urlaub bekämst und in Deutschland wärst, führe ich zu Dir. In den Tagen nach Weihnachten natürlich, denn zuerst muss ich bei den Kindern sein. Aber die sind noch so klein, dass sie, wenn sie ihre Geschenke haben, mich nicht sehr vermissen werden.
Heute haben wir Frikadellen aus Haferflocken gegessen zum Wirsing. Ich wünsche nun doch, Herr Hüllen brächte mir bald die Kartoffeln. Eben kommt Helga und sagt, dass eine alte Dame dastände. Und nun ist es Tante Emilie.
10000000 Küsse, Deine Lotti