Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 13. Oktober 1941

den 13.10.41

Liebster!

Etwas Gutes hat der Alarm. Du bekommst den Brief, den ich sonst erst morgen geschrieben hätte, und Du bekommst ihn auf einem Geschäftsbogen, weil ich hier so schön warm auf der Couch sitze und nicht runterrennen will, um andere Bogen zu holen. Die weißen habe ich eben aufgebraucht für die Abrechnungen.

Draußen ist es so schwarz wie in einem Katzenmagen, und trotzdem knallt es so. Hoffentlich dauert der Alarm nicht bis morgen früh, denn wir haben erst viertel nach zehn. Vor einer halben Stunde heulten drei Bomben durch die Luft, es gab aber keine Explosionen, dann waren das Blindgänger oder Zeitzünder. Aber auf meinen Magen haben sie wieder herrlich gewirkt. Die Bomben, von denen ich Dir vor ein paar Nächten schrieb, sind in Plittersdorf gefallen, haben aber nur Häuser beschädigt, und alle Handwerker sind fürs erstemal wieder beschäftigt und nicht zu haben.

Aber jetzt erzählen wir uns lieber was Gemütliches. Ich weiß bloß noch nicht so richtig, was. Vielleicht von Husum oder vom letzten Urlaub? Für mich verklärt sich das alles immer mehr, und ganz stark wird die Erinnerung, wenn ich plötzlich etwas in der Hand halte, an das ich nicht mehr dachte. In diesem Fall war es das Buch von Stifter, das Du mir damals in Husum gabst. Ich sah sofort das kleine Zimmer, das niedrige Tischchen und das Fenster dahinter und den Schlick im Hafen. Und unten kamst Du auf den holprigen Steinen daher.

Am Samstag hat Heidi Geburtstag. Sie meint immer wieder, dass sie nichts braucht, denn sie wollte nicht, dass ich Geld ausgebe. "Vielleicht zwei Mark, aber mehr brauchste nicht." Ich weiß auch bisher wirklich nicht, was ich ihr schenken soll.

Heute morgen war Frau Holtmann hier. Sie hat sich von mir Zucker geliehen und ich von ihr Kartoffeln. Ich habe bald alle meine Bekannten durch: Hoffmann, Strengers, Frau Hillenbrand, alles musste mir der Reihe nach Kartoffeln leihen, weil der gute Hüllen immer noch nicht gekommen ist. Bin ich nicht grässlich? Da will ich nun Gemütliches mit Dir erzählen und bin schon wieder bei den Kartoffeln. Rin in die Kartoffeln, raus aus den Kartoffeln.

Links von mir liegt ein Berg Strümpfe, rechts von mir geflickte Kinderkleider, vor mir türmen sich die Akten der Abrechnungen.... dabei wird dann der Brief so. Aber Du solltest ihn ja auch gar nicht jetzt schon haben. Aber schön warm ist es hier, und ich möchte an liebsten einen Zwetschgengeist trinken, weil ich nicht richtig müde bin. Der Schreck vorhin war zu doll.

Ich freue mich jetzt richtig an dem Klavier, wenn es auch sehr verstimmt ist. Ich hatte gestern, am Sonntag, vor, eine ganze Zeitlang zu üben und habe mich richtig darauf gefreut. Aber ich bin nicht dazu gekommen. Ich hatte den ganzen Nachmittag Arbeit, die nicht aufgeschoben werden konnte. Überhaupt habe ich erst zwei- bis dreimal Zeit gehabt, eine Viertelstunde zu spielen, dann war wieder etwas anderes los. Heute bin ich auch nicht dazu gekommen. Der Haushalt frisst einen so langsam mit Haut und Haar auf, dass sogar bei gutem Willen keine Beschäftigung mit Dingen bleibt, die man gerne tut, z.B. sich mit Kunstgeschichte befassen. Das hatte ich mir für diesen Winter anhand unserer vielen schönen Bücher wieder fest vorgenommen, und es ärgert mich, dass ich nicht dazu komme, weil es wirklich nicht an meinem guten Willen liegt. Oder ich müsste einfach mit Bewusstsein, wie bei Deinem Hiersein, etwas ab und zu liegen lassen und da weiss ich nun nicht, ob es erlaubt ist. Mit Dir war es etwas anderes. Was meinst Du? Weißt Du Pappi, am liebsten möchte ich ja, dass sie Zeit nach acht mir gehört, wenn ich mich den ganzen Tag über stramm an der Kandare gehalten habe, aber wenn ich mir die Flickenkommode besehe, dann hole ich mir seufzend einen Arm voll rüber. Dafür habe ich jetzt wieder ein Vergnügen, auf das ich mich wirklich freue. wenn mir der Tommy keinen Strich durch die Rechnung macht. Ich verschwinde um halb zehn im Bett und finde das herrlich, weil ich so müde bin. - Aber oben sehe ich die neue Linie, die ich mir heute morgen mitgebracht habe und die ich mir noch nicht angesehen habe. Ist das nicht doll? Darum höre ich jetzt auch auf.

Ich küsse Dich viel, viel, viel.