Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 14. Oktober 1941
den 14.10.41
Liebster Mann,
ich wollte was anderes tun, aber zum Kaffee mit Brötchen und Butter (esse ich zu gern) kam Dein lieber Brief und nun muss ich erst mal ein bisschen zu Dir, wenn es auch nur ein paar Worte sind.
Wäre es nicht wunderschön gewesen, wenn ich diese Strandwanderung mit Dir gemacht hätte? Und man fühlt sich so herrlich behaglich, wenn man dann nach Hause kommt. Ich denke noch an unseren Deichlauf damals in Husum.
Weisst Du, wenn ein Brief von mir mal kleinlaut klingt, dann musst Du ihn nicht zu tragisch nehmen. Ich schreibe ja jedesmal aus meiner Stimmung heraus (das kommt davon, wenn man eben jeden Tag schreibt) und Du kennst mich ja auch um zu wissen, dass ich sehr schnell wieder Mut fasse und versuche, das was ich habe, zu überwinden. Dass mal für Momente alles über einen zusammenstürzt, ist ja klar, wenn viel auf einmal kommt, aber ich fühle dann wenn ich an die Lösung dieser Aufgaben gehe, wie mir dann schnell Mut und Freudigkeit wieder wachsen. Und Du bist eben der Ort, wo ich auch meinen Kummer (wenn man das überhaupt so nennen kann) hintrage.
Ich danke Dir auch für die 5.- Mk. Wenn man doch ein Mittel erfinden würde, dass das Geld nicht so aus der Tasche rast, ohne dass man viel dazu tut. Aber um mein Winterkleid oder einen warmen Pullover brauche ich mir sowieso keine Gedanken mehr zu machen. Die neue Kleiderkarte enthält 120 Punkte gegen 150 bisher. Sie muss aber reichen bis zum 31. Dezember 1942. Und dann die wichtigste Neuerung: Es werden für das erste Vierteljahr 20 Punkte aufgerufen und die nächsten erst im nächsten Vierteljahr. Da Stoff für ein Winterkleid z.B. ca. 64 Punkte kosten würde und ein Pullover 20 Punkte, kannst Du Dir denken, dass es unmöglich ist. Ich kann mir also ein Winterkleid in ca. ¾ Jahren leisten, wenn ich zwischendurch nichts anderes brauche. Sonst habe ich die Punkte dann noch nicht zusammen. Nähmittel kosten jetzt auch Punkte. Im übrigen bin ich ganz froh, dass mir das Schicksal die Frage ob oder ob nicht abgenommen hat. Ich habe auch das alte karierte Kleid infolgedessen schnell gewaschen. Das kriegt rechts und links ein Paar Flicken und muss dann fürs Haus halten.
Aber für Jürgen habe ich heute bei Schneiders noch einen hübschen blauen Wollanzug erstanden. Drei hatten sie bekommen. Der kleine Kerl ist nun mit zwei warmen Anzügen, die gewaschen werden können, gut versorgt. Klaus hat ja Jochens Anzüge und Frau Thelen soll die Grossen aus Altem ersorgen. Wenn die Gute kommt.
Ich will versuchen, jetzt noch bei Düren Kohlen zu bekommen. Ob es schon gelingt, weiss ich nicht, denn er meinte ja, dass wir nur noch 20 Zentner zu bekommen hätten. Aber wenn
Es möglich ist, mehr zu bekommen, tue ich es, denn schliesslich ist ein warmes Zimmer diesen Winter der Luxus. Und auch die Kinderzimmer müssen warm sein.
Draussen stürmt es, was man hier so stürmen nennt. Wie mag es bei Euch sein? Heute nacht waren die Tommys auch in Sturm und Regen gegen morgen wieder da, da aber nichts los war ausser Geballer, bin ich nicht aufgestanden. Er schiesst neuerdings auch ei Bonn wieder erheblich. Du schreibst, dass der Tommy trotz Sturm da war. Das war sicher auch eine von den Nächten, wo hier in der Ecke soviel Bomben herunterkamen.
Weisst Du, ich finde es schrecklich lieb von Dir, dass Du mir Zigaretten schicken willst. Kannst Du sie denn entbehren? Ich rauche schrecklich gern eine, entbehre sie aber auch nicht, wenn ich keine kriege. Und das ist ja seit Deinem Weggang der Fall gewesen.
Klausens Schädel ist eben mit meinem zusammengerannt. Ist der hart. Er wollte mich leib halten. Er geht jetzt wiederspruchslos morgens in den Kindergarten, denn von jetzt ab gibt es jeden Morgen für die Kinder entweder einen Apfel oder eine Tomate oder eine Möhre. Von Staats wegen. Ich tue daraufhin auch Jürgen hin, denn erstens bekomme ich ja kein Obst für die Kinder und zweitens würde mich das tägliche Obst für drei Kinder mehr als 6.- Mk. im Monat kosten. Heute stand eine grosse Waschschüssel herrlich dicker Äpfel da. Und dann bekommen sie im Winter auch noch Cebionzucker. (6.- Mk. zahle ich für alle drei Kinder).
Und nun muss ich wieder an die Arbeit. Anneliese ist nicht da, sie hat frei. Und ich mache den Kindern heute Abend Rübstiel mit Kartoffeln durcheinander. Das essen sie schrecklich gerne. Frau Strenger hat mir Kartoffeln geliehen. Und heute mittag haben wir Ännes Erbsen probiert.
Klaus spielt so goldig neben mir. Er hat mich eben Dummspatz tituliert, weil ich ihm die Hose falsch zugemacht habe. So ein Kind alleine ist ja süss, aber wenn alle fünf ungnädig sind, könnte man aus der Haut fahren. Ursel ist schon zweimal eingesperrt worden, das Böckchen.
Und heute abend nehme ich mir bestimmt die Kunstgeschichtsbücher vor.
100000000000000000 Küsse. Deine Lotti.
Viele Grüße Klaus