Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 21. Oktober 1941
den 21.10.41
Liebster Mann!
Die Mutter sagt mir, dass sie Dir eben unseren neuesten Schreck geschrieben hat. Ich kann Dir sagen, wir haben hier auch unseren Krieg, und unsere Schlachten, die gesiegt werden müssen. Heute kommt der Hüllen an und sagt, dass er uns keine Kartoffeln liefern könne, er sei vierzehn Tage krank gewesen, und als er vorige Woche die Kartoffeln ausgemacht habe, habe er entdeckt, dass sie gerade für ihn reichten. Das glaube einer!!!!! Na, kurz und gut, wir haben keine, und ich muss morgen als erstes zum Ernährungsamt, um den Kartoffelschein wieder gültig machen zu lassen, denn mit dem 1. Oktober war die Eintragungsfrist abgelaufen, und ich muss jetzt eine glaubwürdige Erklärung abgeben, um überhaupt eingetragen zu werden. Ich habe sofort Nierendorf angerufen, aber der sagt, er könne mir die Einkellerkartoffeln frühestens Januar oder Februar liefern, da bei den schlechten Anlieferungen zuerst mal alle drankommen, die sich zur richtigen Zeit haben eintragen lassen. Bis dahin könnte ich sie mir ja zehnpfundweise bei ihm holen (am oberen Ende der Burgstraße).
Ich bin daraufhin in den Film gezogen, in den ich ja zuerst grundsätzlich nicht wollte, den schönen Film ´Der Tiger von Eschnapur´, 2.Teil. Aber er war heute abend genau das Richtige. Die sehr leichte Kost, eingehüllt in fabelhaft mondäne Bilder und atemraubende Spannung (weniger für mich als für das übrige Publikum, das mit lauten Bemerkungen mitging) hat mich dann über den ersten Schreck rübergebracht.
Ich nehme alle meine Reserven zusammen, um den Kopf nicht hängen zu lassen oder ver-drießlich zu werden, und sage mir, dass es Schlimmeres gibt. Vergleichsmöglichkeiten habe ich ja, und dann geht die Waage zugunsten dieser Kriegswidrigkeiten sofort in die Höhe. Das Schlimmste, was passieren kann, ist, dass wir von jetzt ab jeden zweiten Tag in die Burgstraße müssen und dass wir im Winter vielleicht, was Kartoffeln angeht, sehr knapp leben müssen. Das wäre das Äußerste, nicht sehr Angenehme, was uns träfe. Natürlich wird der Haushalt dadurch nicht reibungsloser, und ich muss wirklich sagen, dass Deine Mutter mir bei der ganzen Sache am meisten leidtut. Sie ist so furchtbar mitgenommen von diesem Schlag. Und siehst Du, das ist mal wieder ein Fall von denen, bei denen ich mir schuldig vorkomme, dass sie auf ihre alten Tage solche Not hat. Denn wäre sie nicht hier in dem Großen Haushalt, dann wäre sie von vielen Schreckschüssen hier verschont. Es ist unlogisch, nimmt mir aber nicht das Schuldbewusstein ihr gegenüber, weil es bei mir ist, bei der ihr das alles passiert. Und morgen kommt Fräulein Wolff!!!
Und dann habe ich Mutter ganz energisch gesagt, dass sie, wenn sie immer von Gottvertrauen redet, es jetzt zeigen soll. Wenn sie es wirklich habe, dann könne ihr doch so etwas nichts anhaben, oder der Glaube wäre für die Katz. Und das hat sie scheinbar aufgerappelt.
Und ich bin auch schon wieder ganz vergnügt und obenauf. Es wird schon werden. Harald, aber wenn Du mal wieder auf Urlaub kommst, dann musst Du mich abends feste einmuggeln und einen Kakao kochen und ans Bett bringen. Das ist für mich der äußere Ausdruck des Beschütztseins. Tust Du das?
Jetzt mache ich es bei den Kindern, und geerbt hat diese Vorliebe dafür ganz besonders der Klaus. Er genießt es sehr und lässt sich im Vorgenuss darauf vorher richtig durchfrieren. Ulla ist jetzt in Brülla umgetauft worden. Keine Stunde vergeht, ohne dass sie nicht gellend schreit, und das alles, weil sie nicht klein beigeben will. Tante Hanna meinte heute, dass sie mehr könne, als wir alle ahnen.
Übrigens hat Dr. Monar jetzt einen schönen Spruch im Wartezimmer hängen, den ich Dir hiermit auch auf den Lebensweg mitgebe: 'Sei heiter, es könnte schlimmer sein'. Ich denke, der ist bei Euch Soldaten auch oft angebracht. Und wenn meine Tochter Helga rasch die Ohren hängen lässt, brauche ich nur zu sagen: Denke an den Spruch im Wartezimmer, und sie steckt die Finger in den Mund und lacht.
Aber Du musst jetzt bald mal wieder schreiben, oder ich setze Dich auf schmale Kost.
Und ich gehe jetzt in das Bett!!!!!!!
Das sieht geradezu verfänglich aus, aber das habe ich erst gemerkt, als es gedruckt dastand, Deine Lött