Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 24. Oktober 1941

den 24.10.41

Liebster Harald,

in der Anlage schicke ich Dir einen Brief von Herrn Engels. Schicke bitte den Brief Weil schnell zurück, damit er den Beschluss der Stadt erfährt.

Was soll ich weiter schreiben? Es passiert so wenig, und am Tage, wie jetzt, habe ich wenig Zeit, mich auf einen richtigen Brief zu konzentrieren. Helga hat sich den Knöchel verknaxt. Ich lasse sie aber morgen wieder zur Schule gehen, trotzdem er noch dick ist. Ich selber stehe ratlos vor meinem Kleiderschrank und habe nichts Warmes für den Winter. Der Pullover ist nun an den Ärmeln geflickt und scheidet also für besser aus. Das Karierte ist nicht mehr zu flicken, trotzdem Mutter und ich die besten Vorsätze hatten. Voriges Jahr hatte ich mir kein Kleid besorgt, weil mir das Geld fehlte bezw. ich sparen wollte, und vor zwei Jahren hatte ich keins gekriegt, weil Jürgen unterwegs war. Wenn sogar Deine Mutter sagt, dass meine Wintergarderobe armselig ist, ist es wirklich wahr. Für besser habe ich das schwarze Kleid, das ich nun bei allen Gelegenheiten anziehe, aber leider muss ich da auch in kurzer Zeit die Ärmel flicken.

Vorläufig tröste ich mich immer, dass Krieg ist, aber so ein bisschen eitel ist man doch, und wenn man auch mit geflickten Ärmeln (leider sieht man es, weil ich keine in der Farbe passendes Garn bekam) rumlaufen soll, so habe ich keine große Lust, damit anzufangen. Ich könnte mir ja helfen, wenn ich mir auf die Kleiderkarten meiner drei Töchter Stoff besorgte, aber ich habe einfach den Mut nicht, dafür das Geld auszugeben. Und daran hapert es. Ich muss jetzt langsam an die Weihnachtsvorbereitungen denken. Ich hatte einen alten Mantel von der Mu getrennt und wollte mir davon ein Kleid machen lassen. Aber Heidi hat als einzige keinen warmen Mantel, darum kriegt sie ihn. Aber es gibt in meinem Bekanntenkreis keine Frau, die so wenig anzuziehen hat wie ich, sogar Frau Hillenbrand, die behauptet, dass sie für sich persönlich gar nichts brauche, hat das Dreifache an Wintersachen wie ich.

Lass mich knörzen, Pappi. Aber trotz Krieg bin ich immer noch so viel Frau, dass ich die Eitelkeit nun mal nicht lassen kann. Am liebsten möchte ich die Entscheidung in Deine Hand legen. Ob ich mir trotz allem eine Jumper kaufen soll.

abends

Ich habe keine Lust, wieder zu lesen, was ich heute morgen geschrieben habe, aber ebenfalls keine Lust, deswegen einen neuen Brief anzufangen. Du musst Dich also auch mit den schwarzen Innenseiten Deiner Frau kriegen. Jetzt schimpfe ich aber nicht mehr, weil ich zwei Zwetschgenschnäpse und ein Glas Rotwein getrunken habe (ich glaube, ich kriege die Grippe), und nun ist mein Gemüt sanft und schimpft nicht mehr wegen keinen Kleidern.

Ich wollte gerade schreiben, dass dies heute abend ein sanfter Alarm ist , und in dem Augenblick geht in Bonn das Geballere los. Und dabei ist es im Hausflur so kalt, und ich bin sooooo müde.

Heute nachmittag war zum ersten Mal wieder Kränzchen, und wir haben doll Kuchen ge-gessen. Es ist schandbar, wie verfressen man wird,

Der Buchladen Linz ist bis zum 31.Oktober geschlossen, weil Herr Linz auf Urlaub da ist, sehr mager, aber doch gut aussehend. Aber wahrscheinlich wird Frau Linz den Laden ganz dicht machen und das wäre sehr schade.

Das Heftchen mit den Wirtschaftsfragen bekam ich vorhin. Das meiste kennt man ja schon, aber ich habe mich nebenbei auch für den Artikel über die Hinterbliebenen interessiert, in Erinnerung an das, was Frau Schulz damals sagte. Genaueres wird da nicht gesagt, nur so Sätze machen einen stutzig: 'Für die Hinterbliebenen wird sich aus der Lage der Dinge vielfach eine Umstellung der Lebenshaltung entwickeln müssen. Das gilt vor allem für den Fall, dass Hinterbliebenen keine Wohnung nachgewiesen werden kann, die der Höhe der Versorgungsgebühren angepasst ist.´(Seite 61). Ich finde, das klingt nicht sehr ermutigend.

Ich bin so herrlich müde, und möchte so gerne schlafen gehen, aber man wagt es doch nicht. Und immer, wenn ich meine, dass Ruhe wird, knallt es wieder.

Ist eigentlich unser Haus kälter geworden oder ich empfindlicher? Ich habe schon vorigen Winter gefroren, aber jetzt fängt es so früh an, dass ich mir am liebsten drei wollene Jacken übereinander anzöge und ich diese vielen kalten Zimmer und Flure schrecklich finde. Der einzige warme Raum im Haus ist das Wohnzimmer. Alles andere ist kalt oder gerade nur verschlagen, weil man bei der vielen Arbeit immer wieder vergisst, die Öfen im rechten Moment abzustellen. Und ein kaltes Haus ist was Scheußliches und lähmt die ganze Arbeitsfreude. Und das Haus ist gründlich kalt. Ich warte jetzt schon wieder auf den Frühling. Kälte ist grässlich.

Ich gehe jetzt einfach ins Bett. Ich friere zu doll. Gute Nacht.

Ich küsse Dich Deine Lotti