Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 27. Oktober 1941
den 27.10.41
Liebster Mann!
Honnef hat den Ofen aufgestellt, und nun ist es im Esszimmer wunderschön warm. Dann wird das Regenwetter draußen gemütlich.
Frau Thelen war nun gestern hier und wollte nähen. Aber aus dem Mantelstoff kann man weder ein Kleid für mich noch einen Mantel für Heidi machen. Er ist zu mürbe. Jetzt will sie wiederkommen, wenn ich mir einen Stoff gekauft habe, an dem ich wohl nicht vorbeikomme. Aber dazu muss ich erst meine neue bzw. die Kinderkleiderkarten haben. Aber an das schwarze Kleid hat sie Deine Spitzengarnitur angenäht. Sehr hübsch. Heidi bekommt nun aus Tante Gretes altem Krimmermantel einen. Sehr elegant wird das ja nicht, aber später, wenn sie größer sind, kann man sie eleganter machen. Dann kann ich ihnen sowieso nicht mehr aus allem was machen lassen.
Aber als ich Tante Gretes Mantel trennte, kamen doch eine Menge Erinnerungen. Wie oft bin ich an Winterabenden mit ihr in die Stadt gegangen, und es war wunderschön gemütlich, ob wir nun bei Zenz Blutwurst kauften oder bei Florys Brötchen, Bei Tante Grete wurde alles so, dass man sich auf das Abendessen als etwas Besonderes freute. Unsere Jugend war durch Tante Grete wunderschön, und wir haben nie das Gefühl gehabt, uns einschränken zu müssen, weil alles unter dem Gesichtspunkt geschah, dass es trotzdem schön sein müsse oder lecker oder gemütlich.
Kannst Du Dich noch an das kamelhaarfarbene Cape erinnern , das ich ganz früher manchmal zu Festen anhatte? Aus dem bekomme ich jetzt eine pulloverähnliche Bluse und habe auf diese Weise den Pullover gespart. Die Idee kam mir gestern nachmittag, als ich in die Stadt ging, und ich glaube, er wird sehr hübsch zu dem dunkelbraunen Rock aussehen.
Heute hat Hansi geschrieben. Sie saß zwischen gepackten Koffern und wartete auf das Tele-gramm, das sie evtl. nach Danzig zu einem Kursus beorderte. Nun weiß ich nicht, ist sie in Danzig oder hat es nicht geklappt, und sie ist noch in Füssen. Ihre Sachen hat sie auf jeden Fall schon nach Stettin geschickt. Dann wird sie Weihnachten wohl auch dort verleben und die Mu auf diese Weise wohl nicht zurückkommen. Omi Endemann ist außer sich über diese Nachricht, aber was soll ich daran machen? Ich kann schließlich die Mu auch nicht an den Haaren zurückziehen. Ich weiß auch nicht richtig, was ich machen soll. Ich habe bis jetzt auf die Mu noch nicht eingewirkt, dass sie zurückkommen soll,
denn Du machtest ja damals eine Andeutung, als wenn Deiner Mutter es lieber sei, wenn sie noch bliebe. Und das sah ich ja auch ein. Aber Oma Endemann hat jetzt eine ganz schreckliche Sehnsucht nach Omi Hechtle, und darum will ich auch sehen, was ich mit Briefen möglich machen kann.
Eben rief Rechtsanwalt Möller an. Er hat in Sachen Wittersheim einen Vergleich geschlossen bei dem heutigen Termin. Er soll jeden Monat neben der laufenden Miete 20.- Mk. auf die rückständige Miete abzahlen. Versprichst du Dir viel davon? Die NSV hat ihm 100.- Mk. (Wittersheim) zur Verfügung gestellt, umm nächst mal einen grösseren Betrag abzuzahlen. Glaubst Du, dass die hier landen?
Der Mittagstisch vorhin war sehr nett bis gegen das Ende. Da gab es links von mir, wo Ursel, Klaus und Helga sitzen, plötzlich eine Keilerei. Und warum? Ursel erklärte empört, Klaus hätte gesagt, er wäre nicht mehr ihr Freund, er wäre Freund mit Helga. Und Ursel wollte mit der ihr eigenen Hartnäckigkeit Klaus zwingen, "Freund" zu sein und henkelte ihn immer unter. Klaus vertrug das nicht und fing an zu hauen. Ich musste dann die zwei Kampfhähne trennen.
Herr Schüler hat auch heute geschrieben. Die Godesberger Zeit scheint für ihn die schönste in der Soldatenzeit gewesen zu sein. Er ist dem Kremlgewaltigen, wie er schreibt, jetzt sehr auf den Pelz gerückt und macht mit seinem Krad in Schnee und Eis fürchterliche Rutschpartien.
Draußen gießt es, und Ursel wälzt sich zu meinen Füßen auf dem Teppich. Immer rundrum.
Unsere Kartoffeln holen wir jetzt immer brav. Überdies gibt es nicht mehr drei Zentner pro Kopf, sondern zwei Zentner laut neuester Verfügung, und wenn die neue Kleiderkarte kommt, dürfen Strümpfe in den nächsten zwei Monaten noch nicht drauf gekauft werden.
Mutter kommt eben, sieht, dass ich Dir schreibe und fragt, ob Du einen Grund hättest, sie so bitter und über alle Maßen zu kränken, dass Du sie in keinem Brief erwähnst, soll ich Dir sagen. Du musst aber auch wirklich Grüße bestellen oder ihr mal schreiben; Sie ist ganz furchtbar außer sich darüber. Bitte, bitte, schreib ihr.
Und nun müssen wir uns zur Beerdigungsfeier von Ernst Köster zurechtmachen. Ich küsse Dich herzlich, Deine Lotti.