Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 12. November 1941
den 12.11.41
Liebster Harald!
Ich bin richtig froh, dass Dein Brief heute morgen anders und fröhlicher klingt. Dass mein Paket ja nun in so betrüblichem Zustand angekommen ist, ist schade. Ich kann eben nicht so schöne Pakete packen wie Du. Pakete packen fand ich von jeher schrecklich und musste immer einen Anlauf dazu machen.
Dass ich Dir meine Haussorgen weiter schreiben kann, finde ich sehr nett. Weißt Du, wenn man den ganzen Tag damit zu tun hat, rutschen sie unwillkürlich in die Schreibmaschine. Dass ich in meiner Grundstimmung deshalb doch vergnügt bin und nicht mutlos oder verdriesslich werde, weißt Du ja. Dass man natürlich auch Momente bekommt, in denen man sich bedauernswert vorkommt, ist auch klar. Aber die halten nicht lang an, weil ich mich selbst bei den Ohren kriege.
So Momente hatte ich z.B. seit vorgestern, als mein schöner lieber Pelzmantel mir auf Wiedersehen sagte und zur Fronhofstraße marschierte. Aber schließlich ist das Ausschlaggebende, dass 400 Mark mehr auf dem Konto sind, und deshalb schreibe ich es Dir. Ich hatte zuerst damit gezögert, damit, wie Helga und Heidi sagen würden, ich mich nicht damit strunze, aber schliesslich gibt Dir das Wissen ja auch eine Beruhigung. Jetzt müssen wir nur sehen, wo wir die 500.- Mk. herbekommen.
Der Brief von Heinz Schilling hat mich sehr interessiert, besonders auch, was das Ostland betrifft. Wer weiss, was sich uns noch für Zukunftsaussichten bieten. Hoffentlich. Und hoffentlich schöne, was die pekuniäre Seite anbelangt. Diesen Monat muss ich mich wieder verflixt einschränken, weil an Unvorhergesehenem die 30.- Mk. für Mus kohlen, 34.- Mk. Invalidenmarken für Anneliese, 28.- Mk. Hans Banthien und 10.- Mk Onkel Arthur kamen. Ist das nicht doll. Jetzt bin ich schon wieder ins Rechnen gerutscht, trotzdem ich es diesmal nicht wollte, aber als grosses Fragezeichen steht Weihnachten vor mir und ich müsste jetzt schon alles besorgen, weil in acht Tagen überhaupt nichts mehr da ist.
Was schenke ich den Müttern??? Die Verknappung nimmt rasend zu - Textilwaren besonders -, und unsere Kleiderkarte wird, wie das ´Reich´ schreibt, auf die Hälfte reduziert. Das ist übrigens sehr geschickt gemacht, dass es die große Masse nicht merkt. Statt der 150 Punkte gibt es diesmal 120, das klingt nicht schlimm, aber die Karte hat fünf Vierteljahre statt vier, und die letzten zwanzig Punkte werden erst nach Aufruf fällig, also vielleicht gar nicht.
Für die Kinder habe ich auch kaum etwas. Ich kann noch nicht einmal neue Puppenköpfe auf die Bälge machen lassen, die gibt es nicht. Aber ich habe für den Nikolausteller für jeden ein Taschentuch gekauft, prächtig, sage ich Dir. Es
sind einseitig bedruckte Taschentücher mit Nikolaus, Christkind und Weihnachtsbäumen drauf. Ein herrlicher Kitsch, aber ich habe auch mal so eins als Kind bekommen und fand es herrlich, in so ein Prachtstück meine Nase rein zu schnauben.
Bist Du einverstanden, dass ich Schultzens die ´Ballade am Strom´ schenke? Das Buch ist noch in seinem Karton, dann brauche ich für die nichts kaufen.
Und wenn ich mir ein Buch zu Weihnachten schenken will, muss ich mich ranhalten. Der Buchladen Linz steht seit Wochen bis an die Türe voll, und es kommt nichts Neues rein. Die Regale leeren sich merklich. Ich habe bis jetzt nur gezögert, weil ich nicht weiß, was ich nehmen soll, und Angst habe, das schöne Geld für ein Buch auszugeben, was vielleicht eine Enttäuschung ist. Es war doch tausendmal schöner, als ich so ein Buch einfach hingelegt bekam und mich blos freuen brauchte. In allem, was eine Anschaffung für mich persönlich betrifft, fehlt mir einfach die Entschlusskraft und der Kampf zwischen Mögen und Nein sagen endet jedesmal mit einem Nein für mich. Siehst Du, das ist der Punkt, wo einem der Mann fehlt, der einem schöne Sachen schenkt, die man sich wünscht und der einen einfach dieses Kampfes enthebt.
Übrigens, um nochmal auf den Brief von Heinz Schilling zurück zu kommen: Die Freundschaft zwischen Schuhmacher und Edith Vogel scheint nicht so ganz, wie Charly sich das gewünscht hätte, geblieben zu sein. So viel liest man doch aus der Andeutung heraus. Und sowas macht einem den Aufenthalt in Russland auch nicht leichter.
Ich habe jetzt von der N.S.V. fünf Flaschen Lebertran bekommen. Von Dr. Monar hatte ich gehört, dass sie sie ausgibt, und bin einfach hingegangen. Ich musste natürlich zuerst einen Bogen ausfüllen, wieso und warum ich ihn nicht selber bezahlte, aber ich habe ihn bekommen. Frau Seyfferth, die sehr nett ist, meinte, mir die Sache etwas schmackhaft machen zu müssen, indem sie sagte, es sei für die N.S.V. eine Ehre, einer 'Mutter mit vielen Kindern' helfen zu dürfen, aber ich habe mich gefreut, dass ich dafür kein Geld auszugeben brauchte. Leider nehmen Helga und Ursel ihn nicht. Sie stellen sich an, als müssten sie sterben, und spucken fürchterlich. Helga will absolut Emulsion haben, aber die kriegt sie nicht. Dies ist der klare Lebertran.
Übrigens sehe ich, dass ich reichlich viele Druckfehler mache, aber das kommt, weil ich so rasend schnell tippe.
Übrigens kommen die Trabanten aus dem Kindergarten. Heute mittag gibt es Möhren mit Suppenfleisch durcheinander. Da merken wir die süßen Kartoffeln nicht so. Schweinefleisch bekommen wir schon seit Wochen nicht mehr, und das ist schade, denn mit dem durchwachsenen Speck haben wir sehr schön Fett sparen können. In der nächsten Versorgungsperiode gibt es nun auch nicht mehr fetten Speck oder Schmalz, sondern stattdessen Butterschmalz. Die Schweine wandern alle zur Wehrmacht. Und für Stockfisch muss man sich schon vorher eintragen lassen. Und dann essen die Blagen keinen Lebertran. Die neuen Kartoffeln, die ich heute von Kilian bekommen habe, sind pelzig.
Eben kommt ein Telefonanruf. Ein Dr. Rasch, Ubierstrasse 58 sucht einen Bauplatz zwischen Bahn und Rhein. In Bauplätzen war ich nie so firm. Weisst Du noch einen mit ungefährer Grösse und Preis?
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