Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 17. November 1941
den 17.11.41
Liebster Mann!
Die Freude heute morgen war wirklich groß, als ich zwei lange Briefe von Dir, vom 13. und 14. auf dem Frühstückstisch liegen hatte. Ich hatte seit Dienstag keine Post mehr bekommen und es kam mir wie eine Ewigkeit vor. Aber diese waren lang und ausführlich, und ich habe sie bis jetzt schon dreimal gelesen und lese viel zwischen den Zeilen. Ich empfinde die Trennung auch in der letzten Zeit gerade so schwer und komme mir mitten zwischen den Kindern so allein vor, weil man alles, was man denkt und empfindet, für sich behalten muss. Ich habe immer noch so eine kleine Hoffnung, dass Du Weihnachten vielleicht doch kommen wirst. Du weisst doch, wie schön wir immer Weihnachten gefeiert haben, aber dieses Mal habe ich überhaupt keine Lust dazu. Mit Omi Endemann kann man es nicht so, und die Mu hat geschrieben, dass sie auch Weihnachten nicht zurückkommt, weil Hansi drei Wochen Ferien nimmt und nach Stettin fährt.
Die Kinder haben natürlich große Hoffnungen auf das Christkind gesetzt, und als ich den beiden Großen einen Artikel vorlas, in dem stand, dass doch Munition und Waffen dieses Jahr wichtiger seien als Spielsachen und dass aus diesem Grunde keine angefertigt würden, hatte das nur den Erfolg, dass Helga zum Schluss fragte: "Aber ich meine doch, Du wärst mit Paketen nach Hause gekommen, und Du hast doch gesagt, Weihnachten würde schön." Ich habe schon händeringend die Mu gebeten, etwas in Stettin zu besorgen,, aber da kreuzte sich ein Brief von ihr, in dem sie schrieb, dass dort überhaupt nichts zu haben sei. Ich bekomme noch nicht einmal ein Bilderbuch für Ursel.
Ich werde aber auf jeden Fall viel Vorweihnachtliches mit den Kindern machen, Plätzchen backen, Weihnachtslieder singen und Advent feiern, übrigens hat mir Gärtner Beitin gesagt, dass es auch mit Tannenzweigen in diesem Jahr schlecht stünde. Alles in dieser Beziehung sei von der Luftwaffe beschlagnahmt worden.
Und nun mal zu Deinen Fragen. Dass ich Dir keine Fleischmarken mehr schicken soll, ist schade. Ich freute mich so, dass es irgendetwas gab, das Dir Freude machte, aber wenn Du sie nicht brauchen kannst, hilft es nichts. In Reisemarken kannst Du sie wohl nicht umtauschen, die gelten dann überall.
Von Weil habe ich noch nichts wieder gehört. Er kommt wohl erst dann, wenn es mit seiner Reise nach Polen endgültig wird.
Dein Führerausweis ist bei Fritz Palm gewesen.
Die Partei habe ich angerufen. Die Nummer leigt aber unten und ich bin jetzt zu faul, deswegen eine Treppe zu rennen.
Die Firma Rau und Mathieu hat scheinbar kein Interesse, augenblicklich überhaupt ein Haus zu verkaufen.
Von Wittersheim halte ich auch nicht viel. Die NSV. Hat 100.- Mk. für ihn gezahlt.
Ich würde Dir beinahe wünschen, dass Du auch nach Königsberg kommst. Ich meine, wir wären dann näher zusammen wie hier, schon allein weil die Verbindung, und wenn es eine telefonische ist, leichter ist.
Gleich trete ich meinen täglichen Gang in die Stadt wieder an und zahle die letzten 100.- Mk. auf das Konto E. ein. Frau Pütz hatte mir nämlich die 380.- Mk. zu denen sie den Mantel zurückgenommen hat, in lauter Fünfmarkstückegegeben und ich fand es so dumm, mit solchem Berg anzuwachsen und habe sie erst in Scheine umgetauscht.
Ach Harald, schreibe doch, wann du kannst. Ich freue mich so sehr über Deine Briefe und mich interessiert auch alles. Und Papi, schickst Du wieder Geld? Oder ist welches verloren gegangen. Dass ich damals alles bekommen hatte, habe ich ja geschrieben. Aber meine Disposition für diesen Monat ist durch die 34.- Mk. Invalidenmarken, die 30.- Mk. Kohlen für Mu und die 28.- Mk. Zinsen für Banthien, sowie 10.- Mk. an Onkel Arthur und 20.- Mk. Zuschuss zu dem Mantelgeld, damit es 400.- wurden, ziemlich durcheinandergeraten. Ich habe also das Geld sozusagen nötig. Die 30.- Mk. Kohlen habe ich ja gerne bezahlt, obgleich Glitsch sie an mich zuerst nicht rausrücken wollte. Kohlen sind auf das Haus eingetragen und nicht auf die Person. Aber ich habe sie doch bekommen. Ich will versuchen, die Steuerrate E. im Januar von 159.- selber zu zahlen, ich weiss allerdings noch nicht, ob es gelingt. Ich habe bis jetzt noch nicht fertig gebracht, etwas zu sparen, aber wenn man es am Anfang des Monats einfach zahlt, dann muss man sich zwangsweise krumm legen und dann geht es, das ist bisher immer meine Erfahrung gewesen. Was nicht da ist, kann nicht ausgegeben werden. Wenn das gelingt, was meinst Du, muss dann noch bezahlt werden? Kann ich das schaffen? Kassel muss doch wohl auch das nächste Jahr noch durchgezahlt werden? Schreib es bitte.
Ich schreibe bald wieder. Deine Briefe sind eigentlich die Lichtblicke am Tag, auch der Film, aber damit hört es dann so ziemlich auf. Das übrige Leben ist doch reichlich bescheiden. Aber dafür ist eben Krieg und ich hoffe, dass meine aufgestaute Lebenslust und meine Freude, mich hübsch zu machen, eines Tages doch wieder auf ihre Kosten kommen wird. Resignieren will ich nicht. I h halte es dann lieber mit der Mu, die, wenn es ihr auch noch so dreckig geht, immer noch hofft, dass für sie etwas Extra schönes sein wird. Das ist zwar nicht sehr logisch, aber sie bleibt auf diese Weise spannkräftig. Manchmal denke ich nämlich, ich werde alt und für mich lohnt es sich nicht mehr.
Klaus nennt übrigens das Stövchen "Das Advent“. Din Lött.