Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 24. November 1941
den 24.11.41
Liebster Mann,
heute morgen kam Dein schöner, lieber, langer Brief und ich danke Dir recht herzlich dafür. Ich konnte ihn so gut gebrauchen, denn ich war so ein bisschen bedrückt. Aber Dein Verständnis meiner Bemühungen, Dir eine leibe Frau zu sein, hat mir sehr gut getan (ich weiss es ja, aber man hört es immer wieder gerne) sodass damit jeder eventuelle Verzicht federleicht wird. Und dann ist es mit dem Verzicht auch halb so schlimm und Du brauchst Dir darum keine Gedanken zu machen. Wir leben hier sehr behaglich, die Kinder bekommen auch ein genau so schönes Weihnachtsfest wie immer, angezogen bin ich jetzt auch schön und das ist mir die Hauptsache, ob ich dazu Geld oder keins brauche, spielt ja nicht die Rolle. Es drückt höchstens meinen Ordnungssinn, dass noch nicht mehr abgetragen ist.
Im übrigen eigene ich mich nicht zur Märtyrerin, sondern mache mir das Leben so hübsch wie möglich. Blos du fehlst mir immer mehr und manchmal brauche ich die Freuden, die ich mir leiste und meistens ans Ende des Tages stelle, um ein Ziel zu haben, auf das man zulebt, weil sonst der Gedanke, dass das, worauf man zulebt, nämlich Dein Urlaub, in so nebelweiter Ferne liegt, unerträglich wird.
Ich danke Dir auch recht herzlich für die 30.- Mk. Ich finde es sehr schön, dass sie am Ende des Monats kommen. Nun muss ich allerdings auch damit bis Samstag auskommen, denn ich bin sozusagen pleite. Das, was noch auf der Kasse ist brauche ich zur Abrechnung der Assversicherungen,, die nur deshalb nicht heraus ist, weil zwei Quittungskarten erledigt sind und noch nicht neu gekommen sind und ich deshalb mit der Rechnerei nicht fertig wurde. Da Rechnen ja bei mir schwach ist, fand ich, trotzdem ich drei Bogen verbraucht habe, den Grund nicht, weshalb ich nach meiner Abrechnung 200.- abgeben muss, während es doch nur wie immer einige 60.- wie jeden Monat sein müssen. Das sind aber nur die abgelaufenen Karten Schuld, aber ich könnte Dir nicht sagen, wie ich sie, trotzdem sie nicht hier sind, einsetzen müsste, um den richtigen Betrag, den ich jeden Monat haben müsste, rauszubekommen. Deshalb warte ich auf Herrn Becker.
Was schenke ich bloß der Mu? Deine Mutter bekommt die Kette, Anneliese ihre 30,- Mk., für die Kinder habe ich fast alles, für Hansi auch, Tante Klara aus Metzingen bekommt ein kleines Fresspaket, Thea und Hans die ´Ballade am Strom´, Jochen Deutsche Sagen. Und für uns beide habe ich auch ein Weihnachtsgeschenk, eine Lampe für das Esszimmer. Wenn sie auch jetzt für die alten Möbel zu hübsch ist, so passt sie desto mehr in das, was wir später haben wollen. Es ist ein einfacher, runder Holzreif mit sechs aufstehenden, leicht geätzten Kelchgläsern. Ich habe sie ganz zufällig bei Jamann gesehen und hatte vorher überhaupt nicht an eine Lampe gedacht. Sie war aber so befriedigend in der Form, dass mein
Entschluss innerhalb fünf Minuten gefasst war. Bezahlt ist sie auch. Mutter will mir etwas als Weihnachtsgeschenk dazugeben. Zwei Bücher habe ich mir auch besorgt und sie vorsichtshalber bei Anneliese in Verwahrung gegeben, damit ich sie nicht vorher lese, und bei Trude Reichert zwei wunderhübsche Glasschalen, die eine zu zwei, die andere zu drei Mark ganz zufällig gekauft. Sie sind ganz streng in Reihen geschliffen, sehr schön. Sie sollen, da sie sehr dick sind, auf dem täglichen Tisch Verwendung finden.
Weißt Du, wie ich Dir das alles so schreibe, wird mir selber ganz komisch, dass ich das alles in diesem Monat besorgt habe neben den anderen Sachen und trotzdem keine Schulden irgendwelcher Art gemacht habe. Es kommt mir selber wie Zauberei vor. Die Lampe kostet übrigens 36.- Mk. Ich fand das übrigens im Vergleich zu den heutigen Preisen noch billig, aber sie ist sehr schön.
Ich bin durch Deinen lieben Brief so angeregt, mit Dir diese Nachmittagsstunde zu verleben, dass ich mich auch nicht von Dir trennen kann. Du glaubst nicht, wie ich mich auf unser gemeinsames neues Leben freue und dass ich noch einen so jungen, gesunden Mann habe. Ich habe jetzt so oft Angst, das Leben läuft mir weg. Daran ändern alle fünf Kinder nichts. Ich bin eben kein reiner Muttertyp, sondern habe noch einen Schuss andere Typen mitgekriegt, aber davon nur ein bisschen. Ich komme mir manchmal selber ganz schlecht vor, dass ich mich durch die Liebe und Sorge für fünf Kinder nicht ganz ausgefüllt fühle und immer noch was für mich persönlich wünsche.
Also Pappi, ich werde es mit den Zigaretten so machen, wie Du wünscht. Ich habe die bis jetzt gekauften in die Messingzigarrendose von Deinem Vater getan und dazu ein kleines Näpfchen mit einem feuchten, scharf ausgedrückten Schwamm gestellt. Ich habe gestern ein Päckchen von den von Dir geschickten rausgenommen, die herrlich frisch waren.
Ich glaube, zu Weil brauche ich nicht, denn er sagte damals, dass er darauf zuurückkäme, sobald seine Abreise akut wäre.
Heute habe ich dreißig Stiefmütterchen in das Beet eingepflanzt. Das Wetter ist so milde, da ging es gut.
Eben kommt der Kaffee. Weil Omi Endemann in der Stadt ist, trinke ich allein mit Dir und das finde ich sehr hübsch. Ich habe auch das Stövchen angemacht, wir haben Brötchen, Butter und Apfelkraut, das Radio habe ich eben auch angestellt (hoffentlich hat es nette Musik) und hinterher gibt es eine Zigarette. Die Springerles backe ich erst heute Abend.
Mittwoch nachmittag ist ein Vorspiel bei Fräulein Hunscheidt. Ich nehme Helga dahin mit, denn ich denke, dass sie doch eines Tages, vielleicht in einem oder anderthalb Jahren Klavierstunde bekommt. Neun Jahre sei das Richtige, meint Fräulein Hunscheidt. Du wunderst Dich, woher diese Einladung? Frl. H. rief mich vor ein paar Abenden an. Sie hatte gehört, dass ich wieder anfange zu üben, und weil uns beiden unsere Klavierstunde immer Freude gemacht hat, gab sie mir ein paar Ratschläge und gab auch einige Noten an, die ich mir besorgen sollte und in die sie einige Phrasierungen
einzeichnen will. Zugleich lud sie mich zu dem Vorspiel ein. Ich wiederum bat, Helga mitbringen zu dürfen, weil ich glaube, dass es ihr Spaß macht. Es sind teilweise jüngere Kinder, die spielen. Genau so viel Spaß macht es ihr aber auch, endlich das neue schwarze Samtkleid anziehen zu dürfen, das Frau Thelen genäht hat. Diese Samtkleider (Heidi hat auch eins) werden im übrigen eifersüchtig gehütet, weil sie nicht gewaschen werden dürfen, denn es ist ganz wundervoller Seidensamt. Omi Hechtle wird sich hinsetzen, aber gebraucht hätte sie das alte Kleid doch nicht mehr. Sie tragen rosa Batistkrägelchen darauf.
Eben kommt Ursel und duldet nicht mehr, dass ich schreibe. Sie meint, das Brötchen wartet auf mich. Na also. - Ich habe nicht nur das eine Brötchen, das wartete, gegessen, sondern auch die zwei anderen. Verfressen, nicht? Aber dass die Montagsessen magerer werden, merkt man doch. Sonntags z.B. wäre es mir unmöglich, drei Brötchen zu essen, da genügt knapp ein halbes.
Anneliese dressiert den Jürgen wie ein Äffchen. Wenn sie jetzt sagt: "Hat de Jung ein dreckisch Höschen?"dann atmet er dreimal ganz laut und schwer. Und dann sagt sie: "Duck et Köppchen“, und dann senkt er es.
Morgen muss ich nun den Speicher in der Wilhelmstrasse räumen. Die Luftschutzpolizei lässt mir keine Ruhe. Frau Öchelhäuser hat das inszeniert, allerdings sorge ich als Retourkutsche, dass sie ihre Sachen auch räumen muss. Bei der Möglichkeit geriet sie ganz außer sich, aber Herr Hintze hat mir gesagt, dass ich mich darauf verlassen kann, dass Ö.´s Sachen auch runtermüssen. Aber Rache ist süß. Was nun Frau Ö. am meisten geniert und weshalb sie die Sachen angefitzt hat, sind nun die grossen Kisten im Keller und in der Waschküche. Da steht eine Riesenkiste, die sie immer schon stört, und sie sagte mir vorige Woche, wenn ich die wegschaffen würde, dann wäre ihr der Speicher egal. Nun traf ich Herrn Schneider, der auch von der Kiste anfing. Er sagte dass er mir keine Vorschriften machen wolle, wann ich die Kisten holen würde, er gäbe mir die Erlaubnis, sie vorläufig stehen zu lassen. Zum Schluss sagte er: ich lege Wert darauf, dass sie stehen bleiben, gerade. Öchelhäusers ärgern mich so, dass es langsam bei mir zu kribbeln anfängt. Jetzt lasse ich sie natürlich stehen, und hole nur die grosse Zinkwanne, die die Mu ihnen geliehen hatte, und weshalb sie sowieso platzen möchte, denn sowas gibt’s nicht mehr. Aber irgendwie gut tuen mir die Retourkutschen doch. Und ich habe von den übrigen Mietern Karten bekommen, auf denen sie mir mitteilen, was ich noch mitnehmen müsste und was Frau Ö. in Verwahrung hat, denn sogar bei Frau Zeck kribbelt es tüchtig. Dass die Kisten gerade stehen bleiben, darüber sind sich alle anderen Mieter einig. Pappi, so kleine Rachekriege tun auch ganz gut, denn das Biest hat mich nach dem Verkauf schon genug geärgert und zwar kommt sie zu mir, um sich über Massnahmen zu beklagen, die Herr Schneider trifft.
Deine Novelle bekommst Du auch.. Ich habe schon einen Teil abgeschrieben, aber sie ist länger, als ich dachte, und wenn ich an Dich und die Mu so lange Briefe geschrieben habe und an andere Leute kürzere, dann ist mein Bedarf an Schreibmaschineschreiben so langsam gedeckt. Aber ich
denke, dass ich heute Abend den Schluss schreiben werde.
Vielleicht schreibe ich Dir auch eine kurze Weihnachtsnovelle aus einem Heft der Dame ab. Ich habe sie immer gerne gelesen, weil sie Stimmung hat. Und das ganze Heft kann ich Dir doch nicht schicken.
Wenn Du diesen Brief hast, ist beinahe Adventssamstag (wenn er die üblichen drei bis vier Tage geht). Du wirst bestimmt beim Adventsblasen in Gedanken dabei sein. Und am Sonntag werde ich mit den Kindern unten im Esszimmer Advent feiern, weil da das Klavier steht und weil ich dann auch dorthin den Adventskranz stellen werde, mitten auf den Tisch. Hier oben kommt in die Glasvase ein dicker Strauss Tannen mit einem silbernen Stern.
Helga und Heidi dürfen jetzt Sonntagabende bis neun Uhr aufbleiben. Das tue ich auch mir zur Freude. Wir lesen dann etwas vor oder machen Gesellschaftsspiele oder jetzt auch Weihnachtsarbeiten. Es ist ganz wunderschön. Der Samstagabend gehört nach alter Sitte ganz meinem Vergnügen (früher unserem Vergnügen) Buch und zigarette.
Ich habe auch der Mu wieder geschrieben. Sie hat auch dort viel am Hals. Zuerst war Hans drei Wochen lang schwer grippekrank, und zwei Ärzte machten sich Sorgen, ob seine Lunge nicht wieder litt, und dann hat Thea ja seit Wochen diese Sehnenscheidenentzündung. Zuletzt wurde der Arm in Gips gelegt, aber das war scheinbar zu fest geschehen, denn eines Nachts hielt Thea es nicht mehr aus und machte mit Zange und Meißel den Gipsverband ab. Sie hatte durch den zu festen Verband Blutstauungen bekommen und daraufhin Herzattacken. Das hätte böse werden können. Aber nun freuen sich alle auf das gemeinsame Weihnachtsfest mit Hansi. Wir, Deine Mutter und ich, sind todunglücklich, dass weder die Hansi noch die Mu zu uns kommen und dass wir nun ganz allein bleiben.
Herr Endemann, sind Sie nun mit diesem langen Brief zufrieden? Ich habe den halben Nachmittag damit verbracht.
Ich küsse Dich lieb, ich habe Sehnsucht nach Dir und möchte Dich hier haben.
Din Lött.
Das Bildchen fand ich zufällig beim Kramen. Ich dachte, es macht Dir auch nochmal Spass, es zu sehen.