Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 27. November 1941

den 27.11.41

Lieber Mann!

Wenn ich Dir nicht rasch einen Brief schreibe, musst Du wieder drei Tage ohne Post dasitzen, denn gestern und vorgestern kam ich nicht dazu.

Sehr geistreich wird dieser auch nicht werden, denn ich habe ein bisschen Grippe in den Knochen und nehme schon den ganzen Tag Aspirin. Eine Grippe kann ich mir nicht leisten, schon wegen des Adventsfeierns. Die Kinder würden doch lange Gesichter machen.

Heute habe ich wieder feste gebacken, Lebkuchen, richtig auf Oblaten, Spekulatius und gestern Baseler Leckerli. Ich glaube, ich mache auch noch Printen selbst. Ich habe noch allerlei von den echten Gewürzen, die an solche Sachen gehören und ausserdem ist es sehr weihnachtlich. Eure große Blechkiste ist schon voll. Ich muss aber noch viel backen, denn vier Adventssonntage und fünf Kinder, das schafft.

Wenn Du diesen Brief hast, ist auch Advent. Hoffentlich ist mein kleines Päckchen zur Zeit gekommen. Und hoffentlich kommt es nicht wieder so zerdeppert an. Ich möchte Dir so gern allerlei Liebes tun und kann es nicht.

Anneliese packt Weihnachtspakete am laufenden Band, und jedem Soldaten lässt sie die Illusion, dass er der einzige ist, auf den sie wartet. Ihre Briefe sind göttlich. Sie wirft sich zu jedem Weihnachtsbrief in Positur und liest mir alle vor. Einen schönen Satz habe ich behalten: 'Ich hörte im Schlafe die Meereswellen toben, nachher wurden sie ruhiger und sangen in mehreren Stimmen das schöne Lied: Stille Nacht, Heilige Nacht'.

Und in diesem Ton bekommt jeder von ihren acht Freunden zwei Seiten geschrieben. Ich hatte ihr den Vorschlag gemacht, sie solle einen Brief entwerfen, und ich wolle ihn dann mit Durchschlägen abtippen, worauf sie mich zweifelnd ansah, ob das nun aus Menschenfreundlichkeit oder aus Spottlust geschah.

Heute war der Klavierstimmer da und hat das Klavier für acht Mark in Ordnung gebracht.

Eben kommt Heidi nach Hause. Sie tut mir doch mit der Brille leid. Ich bin auch dafür, dass sie die Brille nur in der Schule zum Arbeiten aufbehalten soll, denn wenn sie sich an sie gewöhnt, ist sie ohne Brille ziemlich hilflos und jetzt wird sie doch eigentlich sehr gut so fertig. Aber sie ist die Beste und Gutmütigste von allen und tut alles, auch Lebertran nehmen, weil ich es will, trotz-

dem es sie schaudert. Weder Helga noch Ursel nehmen ihn, ich habe bei allen Kämpfen mit ihnen den Kürzeren gezogen.

Frau Gesler ist zu ihrem Mann gereist. Aber sonst weiß ich kaum eine Bekannte, die ihren Mann zu Weihnachten hier hat. In der russischen Ecke soll überhaupt Urlaubssperre sein.

Mutter sagte mir, Du habst nach Niederdollendorf gefragt. Dort sind es beide Fabriken. Zu löschen war keine Möglichkeit.

Jetzt mache ich Schluss, denn der Kopf brummt, ausserdem habe ich mir die Sehne vom rechten Daumen vergrällt, und die Spekulatius müssen noch in den Ofen.

Ich finde es reizend, dass Du das Zimmer vom Major jetzt für Dich hast. Hoffentlich bleibt er noch lange weg. 1000000 Küsse, Deine Lotti