Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 11. Dezember 1941
den 12.12.41
Mein lieber Mann,
war das nicht nett, dass ich heute morgen angerufen habe? Und wenns auch nur geschäftlich war? Das geht selbstverständlich nicht auf unsere Kosten. Das Zimmer ist nachher viel schöner, wenn Deine Stimme drin gewesen ist, und das Gefühl, von Dir so weit weg zu sein, ist dann auch nicht mehr so da.
Heute kam wieder ein Brief von Dir und es ist mir schrecklich, dass ich Dir nicht helfen kann Urlaub zu bekommen. Aber meine Hand ist gut und da bekomme ich dann kein Attest. Sonst wäre es ja wohl auch nötig gewesen. Sie ist sogar so gut, dass ich mich eben entdecke, dass ich mit zwei Händen schreibe, und das werde ich für diesen Brief auch beibehalten. Das andere ist doch zu mühselig.
Frau Hillenbrand holte mich um sechs u einem Film ab, auf den ich mich nicht besonders freute, weil er einen so blöden Titel hat: Kleine Mädchen, grosse Sorgen. Aber er war so reizend, dass wir völlig drin versanken, es war so richtig was fürs Herz und an der schönsten Stelle hiess es: Fliegeralarm. Das war, wie wenn man aus einem wunderschönen Traum gerissen wird. Zu Hause waren dann alle Kinder mobil und es war auch gut, denn auf einmal heulte eine Bombe wie ein Teufel durch die Luft, dass unserer armen Helga vor Schreck die Beine versagten. Weit weg kann sie nicht gewesen sein. Und hinterher, als wir im Keller waren, denn das taten wir dann, rappelte es noch einmal, mitten in die Weihnachtslieder rein, die ich mit den Kindern sang. Weisst du, das Singen von Weihnachtsliedern im Luftschutzkeller hat doch irgendetwas von Ironie an sich, ich empfand auf jeden Fall das Merkwürdige der Situation sehr stark. Und dann musste ich zum 47mal das Märchen von Frau Holle erzählen. Helga passte das nicht ganz, aber hinterher hörte sie doch auch ganz schön zu.
Weil ich keinen Baukasten für Klaus bekam, habe ich mir Klötzchen von Radermacher schneiden lassen, und er brachte heute eine ganze Waschschüssel voll an. Da habe ich dann noch für das nächste Jahr welche. Dann habe ich mir für 30 Pf Beize in rot, gelb und blau gekauft und alle in die Farbe tunkt. Sie sind wunderschön geworden und viell stabiler wie die gekauften.
Nun ist die Kriegserklärung an Amerika ja auch da und die meisten Leute meinen, das wäre gut, denn nun wäre es ein Aufwaschen und die Sache geht dann auch schneller zu Ende als wenn alles sich so auseinanderzeiht. Aber wie wird der nächste Sommer werden? Im Ganzen besehen, ist so ein Einzelschicksal doch völlig unwesentlich, aber wie ich mir heute abend meine Fünf in denn Luftschutzbetten so besah
mit ihren niedlichen Gesichtchen, jedes von der Vererbungstheorie aus gesehen in seinen Anlagen so gut und vielversprechend, da hätte ich sie doch gerne geschützt gewusst vor irgendwelchen Schrecken, die vielleicht im nächsten Sommer drohen. Herr Strenger meinte schon gestern, ich solle mit allen Kindern auf den Ahrenberg, wohin er seine Frau auch haben will, im Sommer ziehen. Dort seien einfache Gasthöfe, die er kennt, die so eine ganze Familie aufnehmen, und denen auch Kinder nichts ausmachen. Die Grossen könnten dort in die Volksschule gehen und die Luft wäre dort in der Nähe der Nürburg herrlich. Aber das waren ja nur Vorschläge, die wegen tausend Hindernissen nicht ausgeführt werden können. Aber welchen Schutz hieltest Du hier für am besten? Denn unserem Luftschutzkeller traue ich auch nicht viel zu.
Aber ich will Dir; jetzt spät in der Nacht, lieber hübscheres und gemütlichers erzählen. Aber wie und wo soll ich anfangen? Wenn Du jetzt hiersässest, wäre es viel einfacher. Heute abend habe ich nun nochmal einen riesengrossen Klumpen Teig geknetet und glaube, dass ich jetzt Plätzchen genug hae. Abends ziehen wir die Puppen an (Helga bekommt meine Lilo und hoffentlich ist sie jetzt nicht geliefert). Einen Weihnachtsbaum habe ich heute auch gekauft, der hat zwar drei Spitzen ist aber dicht und schön, die anderen hatten eine schöne Spitze, aber nur jeden Kilometer einen Zweig.. Aber die drei Spitzen werde ich schön so verarbeiten, dass es doch gut aussieht.. Ach, wenn Du doch blos kämst. Aber wir müssen uns dem Unvermeidlichen fügen und müssen uns sagen, dass diese ganze Lebenswendung für unser ganz persönliches Leben bei allem Schweren der Trennung und anderem doch das Gute war. Und das macht es dann vielleicht nicht gerade leichter, aber irgendwie ruhiger, dieses Gefühl, Dich Weihnachten nicht zu haben.
Ich lese augenblicklich ein sehr interessantes Reisebuch von julia Menz, der Cembalistin, über eine Reise nach Indien, Sumatra, Bali usw. mit dem Flugzeug. Es ist sehr fesselnd und elegant geschrieben.
Womit ich mich denn auch empfohlen haben wollte, Herr Endemann, denn nun ist es halb zwölf.
Gute Nacht, lieber Mann, ich freue mich, dass ich heute mit Dir gesprochen habe. Ich trinke nun noch im Bett zur Abrundung der Gemütlichkeit einen Eierkognak, damit ich recht schön schlafe. Dabei denke ich an Dich und an Deinen vorigen Weihnachtsurlaub, der für mich ewig mit Eierkognak verbunden bleibt. Denn der damals war überhaupt der erste, den ich trank und somit bringt mich die Empfindung dieses Geschmackes sofort in die Abende zurück, wie mich das Lied, reite, kleiner Reiter, wenn ich es im Radio höre, sofort nach Husum versetzt. Din Lött.