Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 27. Januar 1942
den 27.1.42
Liebster Harald!
Manchmal finde ich das Leben doch recht schwer, und ich bin ganz verzweifelt. Dann meine ich sogar, ich hatte ganz besonders viel auf mir, und dazu diese schreckliche Kälte. Heute morgen waren es glücklich 23 Grad, und wir arbeiten, die Mutter und ich, halb erstarrt im Haus herum. Die Mutter hustet, und ich habe Rheuma zwischen den Schulterblättern und im linken Knie. Und wenn dann so Zwischenfälle kommen wie heute morgen Jürgen, der allein im Kinderzimmer war und das Kinderzimmer und sich voll mit Bu geschmiert hatte, dann tut sogar Mutter den Ausspruch: Der liebe Gott soll mir den Satz verzeihen, aber der Kleine ist zu viel. Das sind ja auch nur Momentaussprüche von ihr, aber alles schlägt uns über dem Kopf zusammen, und alles wäre vielleicht nicht so furchtbar schlimm, wenn es nicht so kalt wäre. Aussicht auf ein Mädchen ist vorderhand überhaupt noch nicht und auch nicht auf eine Stundenhilfe.
Und die schrecklichen Kohlentüllen, die wir tagsüber schleppen. Ich selber bin schwarz, meine Wäsche ist schwarz, und es lohnt sich überhaupt nicht, sich auch nur für kurze Zeit ein bisschen nett zu machen, sogar nachmittags nicht. Und wenn man durch das viele Kohlenschleppen wenigstens ein warmes Haus bekäme!
Gleich will ich ins Krankenhaus, um zu sehen, wie es der Mu geht. Diese Sorge setzt einem auch zu.
Weißt Du, wenn heute nachmittag mal keiner was von mir wollte, wenn ich also einen freien Nachmittag hätte, wenigstens zwei Stunden, in denen ich nur am Ofen sitzen kann, mich aufwärmen und nicht den Kleinkram um die Ohren hätte, dann wäre schon vieles besser. Ich habe diese Nacht fast nicht geschlafen vor Kälte, und das sitzt mir noch in den Gliedern.
Hattest Du eigentlich die 30.- Mk, geschickt? Ich frage, weil ich auch die angekündigten drei Zeitungen und das Reich nicht bekommen habe. Oder sind die mit dem Glugzeug abgestürzt? Ich werde nun doch nicht 300.- Mk. an Engels überweisen können, sondern 200.- (von mir und Grashoff). Ich bin diesen Monat, trotzdem ich nichts gekauft habe und auch nichts besonderes war, nicht ausgekommen und musste mir von Deiner Mutter schon die 30.- Mk. für den nächsten Monat geben lassen. Dann habe ich eine Telefonrechnung von 40.- Mk. weil ich aus Angst damals soviel hinter Anneliese her telegrafiert und telefoniert hatte (und das dumme Stück liess alles unbeantwortet) und dann fehlen auch Deine 30.- Mk. Ich habe also eine Differenz von rund 80.- Mk., die ich im nächsten Monat aufholen muss.
Eben rief Frau Königsfeld an, dass das Grundstück in der Wittelsbacherstrasse durch Klemmer verkauft sei. Hattest
Du es damals Klemmer an Hand gegeben? Und bekämen wir da Geld von ihm? Denn Frau Königsfeld meinte, wegen der Abfindung müssten wir uns an Klemmer halten. Das wäre doch ein kleiner Lichtblick für mich.
Unsere Kartoffeln sind in ein paar Tagen alle, und neue kann ich nicht kriegen wegen des starken Frostes. Lieblich.
Ach Pappi, ich bin im allgemeinen tapfer und gehe en grössten Schwierigkeiten zu Leibe, aber dann rasselt plötzlich man wieder alles über mir zusammen und ich meine, so viel Schwierigkeiten (womit ich dann alles meine, die vielen Sorgen die ich hatte, die vielen Kinder, die ich so schnell kriegte und all das) haben wohl nicht viele. Ach, ich bin so unglücklich.
Eben war ich bei der Mu. Diesmal scheint es nicht schlimm zu sein. Sie ist lustig und fidel.
Und ich kann Dir weiter gar nichts schreiben, als dass ich todunglücklich bin. Durch die Kälte sind wir nicht fähig, das Haus ordentlich zu halten, und nun geht alles drunter und drüber. Vielleicht ist es gar nicht so schlimm, aber mir scheint es so. Und wie soll man bloß fünf lebendige Kinder großkriegen? Und in der heutigen Zeit, in der man überhaupt nicht in die Zukunft sehen kann. Ich sehe, besonders für mich persönlich, überhaupt keinen Lichtblick mehr, als nur Rackern und Schuften an einem unüberwindlichen Berg. Vielleicht kommt es auch blos, weil ich heute so müde und abgespannt bin, dass mir jede Tätigkeit wie ein Berg erscheint. Weißt Du, im Büro sitzen und eine Sache nach den anderen erledigen, das wäre wunderschön, aber ununterbrochen treppauf, treppab mit Windeln, Thrönchen, Kohlentüllen, Essen, Kartoffeln schälen, einholen, Jürgen fertigmachen und dabei dauernd vor neue Überraschungen gestellt werden, die im Plan nicht vorgesehen sind, ist heute für meine Nerven zu viel. Bei einem normalen Haushalt wollte ich nichts sagen, aber die Masse Menschen kann ich nicht bewältigen. Und dabei friere ich wie ein Hund.
Um die Verwaltungen kann ich mich gar nicht mehr kümmern. Ich habe seit Wochen alles immer auf den Büroschreibtisch gelegt, und nun ist es ein einziger hoher Berg von unerledigten Sachen geworden. Ich müsste einen ruhigen Nachmittag und Abend für mich haben, um einigermassen wieder Ordnung reinzubekommen, aber das ist ausgeschlossen.
Und wenn ich Treppen und Zimmer geputzt habe, ist es durch die vielen Menschen doch für die Katz.
Die Zeitungen sind eben angekommen. Vielen, vielen Dank.