Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 5. April 1942
den 5.April, Ostersonntag
Liebster Mann!
Zuerst wünsche ich Dir heute mit einem lieben Kuss fröhliche Ostern. Hast Du heute auch eine Osterfreude? Vielleicht hast Du frei und gehst irgendwohin.
Es ist wunderschön still im Haus. Die vier Großen sind zu Strengers gegangen, Lisbeth schält Kartoffeln, die Omi Endemann ist in der Kirche, und die Omi Hechtle wurschtelt irgendwo rum. Die Kinder waren natürlich heute morgen um halb sieben fix und fertig, aber trotzdem bin ich nicht aufgestanden und habe sie allein wurschteln lassen. Das Eiersuchen ging natürlich mit dem üblichen Geschrei vor sich, und der Kaffeetisch war auch genauso, wie Du es immer gewünscht hast. Eier waren im letzten Moment auch gekommen (pro Person zwei) so dass es richtige Ostereier gab und dazu dann Bohnenkaffee. Ursel fand, dass der Osterhase sehr lieb war. Helga war scheinbar etwas enttäuscht, dass er nicht so reich gelegt hatte wie sonst, und ich selber hatte gedacht, er hätte mir einen Brief gebracht (Donnerstag war der letzte gekommen), aber das hat er nicht getan. Nun gibt es erst Dienstag wieder Post.
Heute nachmittag gehen die Omis mit den beiden Großen nach Mehlem Kaffee trinken, und Lisbeth hat ebenfalls frei. Ich muss das Haus und die drei Kleinen hüten. Weil ich nun vergessen hatte, mir ein Bibliotheksbuch zu holen, werde ich mich trotz Ostersonntag an die Kinderstrümpfe machen, denn die sind ein trauriges Kapitel. Morgen ist Omi Endemann bei Lisbeth Hessel eingeladen, und Omi Hechtle hat sich ihre Freundin aus Siegburg bestellt. Was ich dann tue, weiß ich noch nicht, höchstwahrscheinlich nicht viel oder mich um die Kinder kümmern. Sie sind bei aller Liebe doch schrecklich aufregend.
Ich bin froh, dass ich so ein liebes Mädchen bekommen habe, aber der Unterschied zwischen einem siebzigjährigen Pfarrherrn und fünf lebendigen Kindern ist für sie noch so groß, dass sie noch völlig erschossen ist und dass ich fürs erste überhaupt nicht wage, ihr irgendwie eins der Kinder zu übergeben. Ich lasse sie vorläufig nur an die Zimmer und ans Spülen. Und das erscheint ihr schon enorm viel Arbeit.
Ich lege Dir als kleinen Ostergruß ein paar Zigaretten bei. Sind die ersten auch angekommen? Oder kann man nicht wagen, sie so im Brief zu schicken. Ich freue mich, dass Du Dich nicht mehr so unglücklich in Jever fühlst. Vielleicht bist Du zum Schluss ganz gerne dort. Hast Du noch Umzugspläne, um ins Rheinland zu kommen?
Ich habe vorgestern, an Karfreitag, sehr viel an Theo denken müssen, weil er an dem Tag doch immer nach Köln zur Matthäuspassion fuhr. Ob er an dem Tag auch dran gedacht hat? Der arme Kerl ist scheinbar regelrecht im Kampf eingesetzt, und wenn er bei einer Gebirgstruppe ist, wird das ja auch wohl sein, denn die wer-
den ja oft an schwierigen Stellen eingesetzt. Wie kommt er denn überhaupt zu einer Truppe, in der nur Bayern oder Österreicher sind? Und Ilse scheint vorläufig in Duisburg zu sein. Ob Frau Angelkorte bei ihr ist? Oder hatte sie es zuletzt vorgezogen, wieder ihren eigenen Haushalt zu haben? Und Wilhelm Düren scheint ja wohl nach Frankreich zu kommen.
Denkst Du noch an den schönen Ostersonntag auf dem Kölner Flugplatz? Und an den Osterspaziergang nach Unkel? Ich lebe so still vor mich hin, dass ich beinahe gar nichts mehr erlebe. Es vergeht ein Tag wie der andere, und auch der Verkehr mit Bekannten schläft so langsam ein, wenn ich nicht gerade Frau Hillenbrand ausnehme, die ja nebenan wohnt.
Vielleicht liegt es auch an mir, denn wenn ich so viel zu tun habe, ist die Umstellung auf irgendein Unternehmung oder sogar auf besonders gepflegtes Anziehen geradezu lästig. Vielleicht wird man älter und vernünftiger. Vielleicht fehlst Du auch als anregendes Moment, vielleicht müsste ich überhaupt mal wieder etwas anderes sehen als nur Haushalt und Kinder. Man ist eben so eingespannt von tausend Anforderungen, dass es in der letzten Zeit sogar nicht mehr dazu langt, einen Film anzusehen, den man möchte und wenn ich es wirklich tue, dann denke ich zwischendurch immer daran, was in der Zeit eigentlich gemacht werden musste und dann renne ich hinterher damit ich nur ja wieder nach Hause komme. Vielleicht ist das ganze auch blos Krampf und ich müsste ausspannen, um wieder richtiger alles zu sehen. Ich müsste mir eigentlich auch jede Woche einen freien Nachmittag nehmen und an diesem Nachmittag irgendeiner persönlichen Neigung nachgehen.
Schlimm ist ja, dass Jürgen überhaupt nicht die Neigung hat, sauber zu werden Heute musste ich als erstes sein ganzes, gestern abend frisch bezogenes Bett abziehen, trotzdem wir es gestern schon einmal ausgewaschen hatten und ihn auch auf dem Thrönchen gehabt hatten. Und nie erwischt man bei ihm den richtigen Moment, wenn er drauf muss. Und Klaus und Ursel stellen einen auch zehnmal am Tag vor Überraschungen, dass man verzweifeln kann. Jetzt höre ich z.B. oben wieder das Wasser rauschen, trotzdem Ursel deswegen schon hundertmal Wichse bekommen hat. Viele liebe Küsse. Deine Lotti