Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 12. Mai 1942
den 12.Mai 42
Liebster Mann,
eigentlich hatte ich keine große Lust zum Schreiben, ich bin sozusagen etwas ausgetrocknet, aber da ich ja doch zu nichts anderen nütze bin – mein Arm ist leider noch nicht besser, sondern im Gegenteil, nachdem ich seit gestern Nachmittag die Schiene ab hatte, schlimmer – schreibe ich eben. Ich habe mir die Stehlampe an den Schreibtisch gerückt und der helle Lichtkreis, der gerade nur den Tisch einbezieht, und alles andere im Dämmer lässt, regt erfreulich an.
Dein letzter Brief ist nun auch schon über acht Tage alt, danach kam nur die Hausskizze. Krise oder Arbeit, Pappi? Oder überhaupt nur so?
Ich habe heute schon ein Geburtstagsgeschenk für Thea besorgt: Eine Neuerscheinung, Briefe aus dem Felde, von Franz Marc, dem Maler der blauen Pferde. Ich glaube, ich werde das Buch behalten oder noch mal kaufen, so großartig finde ich es. Über seine blauen oder roten Pferde mag man ja geteilter Meinung sein (wenn ich auch verstehe oder vielmehr empfinde, wie er dazu gekommen ist) aber seine Briefe sind fabelhaft.
Beim Lesen dieser Briefe dachte ich so an die damalige Kunst: Wenn die Anfänge und Gründe dieser Kunst vor dem Umbruch auch ihre innerste Berechtigung hatten führte sie ja zum Chaos und „war nichts mehr“, aber, Frage, ist die heutige Kunst eigentlich richtig, in dem Sinne wie wahr? Ich habe immer das dumme Gefühl des Befohlenen und nicht des Gewachsenen dabei. Ich möchte da doch mal gerne Kröbers Meinung drüber hören.
Verflixt, schreiben mit der Hand finde ich schrecklich anstrengend. Ich muß doch mal eine andere Haltung oder eine andere Feder probieren. Ich glaube, hier mit wäre ein Tintenkuli das gegebene. Mir rutscht meine Hand beim Schreiben immer aus. Außerdem finde ich, dass ich mit der Feder sehr viel Papier brauchen würde.
Morgen hat nun unsere Ursel Geburtstag. Der Tisch steht schon fertig gedeckt da.
Wenn nun meine Hand vorläufig nicht besser werden sollte, was mache ich mit den Abrechnungen? Kann ich die bis Ultimo aufschieben?
Und dabei tobt weit im Osten die große Schlacht. Es ist manchmal unfaßlich, dass man so behaglich dasitzt und dort ist das Chaos.