Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 23. Juni 1942

den 23.6.42

Liebster Mann!

Heute abend, als ich nach Hause kam, lag schon ein langer Brief von Dir da, und weil ich gar nicht damit gerechnet hatte, bekommst Du sofort wieder einen, trotzdem es gleich zehn ist und ich sehr müde bin. Grund: Ich habe mit allen fünf Kindern (Jürgen war das erste Mal mit dabei) einen Ausflug auf die Insel Grafenwerth gemacht.

Ich bin gerädert!!! Der Tag war lieblich warm, der Dampfer knuffig voll, und als wir in Grafenwerth ankamen und den sonnigen Weg bis zum Restaurant getippelt waren, und der kann lang werden bei fünf jaulenden Kindern (die am Verdursten sind und bei jedem Schritt tun, als müssten sie sofort umfallen, wenn sie nichts bekommen), da stand das bekannte Schild dran: Dienstags geschlossen. Nun also um und bis in den Ort gezogen, und da sind wir dann ins Beste, weil´s das Nächste war, ins Kurhaus. Es gab dann zur Belohnung eine wirklich herrliche Erdbeertorte, und dann bauten wir auf dem Tisch auf, was eigentlich für Grafenwerth bestimmt war, Butterbrote und Milch für Jürgen. Und soweit war dann alles wieder gut. Die Kinder hatten Spaß an der Kapelle, die Mu und ich ruhten uns ein bisschen aus, bis Ursel dann aufs Klo musste. Als ich zurückkomme, sehe ich gerade, wie Jürgen an einem Tisch, auf dem die Kellner die Sachen abstellen, sich einer Erdbeertorte bemächtigt hat und sie halb in den Mund gesteckt hat. Ich musste sie ja nun kaufen, hatte aber leider keine Kuchenmarke mehr. Aber das kam in Ordnung. Und dann zogen wir besänftigt zum Rhein, wo dann stand, dass der Dampfer eine Stunde Verspätung hätte. Als die Mu dann das Fresskörbchen nachsah, stellte sie fest, dass sie einen kleinen silbernen Löffel, den sie mitgenommen hatte, im Kurhaus vergessen hatte, und ich musste nun wieder hin. Dieser Löffel war nun mittlerweile in einem riesigen Berg Bestecke, die gespült werden sollten, verschwunden, und ich musste ihn aus diesen dreckigen Kollegen rauspulen.

Der Heimweg verlief dann ohne weitere Störung, nur erregte ich mit so vielen Kindern das übliche Aufsehen, einige erkundigten sich, ob das alle meine seien und machten das übliche Kompliment wegen so jung aussehen und so und fanden so viele Kinder reizend. Ich selber fühlte mich einigermaßen erschossen. Aber goldig war's doch. Aber in den nächsten drei Wochen wird kein Spaziergang mehr mit so vielen auf einmal gemacht.

Sonntag war ich nämlich auch mit ihnen draußen. Da sind wir in den Marienforster Wald gegangen, und das war ein richtiger, schöner Spaziergang - ebenfalls mit der Mu. Aber dann hättest Du uns sehen sollen, Pappi. Auf der Wiese zwischen Brungs Mühle und dem Wald weideten Kühe und ein Ochse. Ob diesen Ochsen nun die rotkarierten Kleidchen der Großen störte oder ob er sich nichts dabei dachte, genug, plötzlich stellte er den Schwanz in die Höhe und

sprang abwechselnd auf die Vorder-und Hinterbeine. Wir standen starr, wurden aber noch starrer, als er plötzlich im Bogen auf uns losschoss und vor uns stehen blieb und uns nicht aus den Augen ließ. Da der Weg sehr schmal ist, standen wir direkt zusammen, d.h. nur einen Moment, dann rasten wir nach allen Seiten auseinander. Ursel brüllte am tollsten. Also, ich gehe nicht mehr an Ochsen vorbei. Es war nun ein gutmütiger Ochse, und der dazugehörige Junge hatte ihn schnell beruhigt. Oder meinst Du, dass er vielleicht nicht böse war? Ich sehe Dich ja lachen, aber es war ein toller Moment.

Hinterher haben wir dann auf einer Wiese gesessen, und Klaus hat Ochse gespielt. Seine Grazie eignet sich gerade hierzu vortrefflich. Helga fragte dann, wieso er böse geworden sei, und ich sagte ihr, dass diese Tiere kein Rot vertragen können. Sie meinte, ob Kühe das auch nicht möchten, und ich sagte, das denen das gleich sei, worauf sie sagte: "Siehste, immer wieder die Männer."

Abends waren wir dann im Adler und trafen da Günther Einmal, der Dich grüßen lässt und Dir bestellen lässt, dass sich die alten Herren der Makaren doch wieder zusammentun sollten, um sich um das Makarenhaus zu kümmern. Der Betrieb dort wird immer mehr ganz wie früher. Er hat jetzt einen Abend mitgemacht, der die ganze Tradition der Makaria enthielt. Was sagst Du?

Und gestern habe ich mit heldenhaftem Entschluss die Wohnzimmer gehausputzt, weil die Mu echten Kaffee gekocht hatte, anschließend bis ein Uhr Sachen geflickt. Wesentlich leerer ist der Flickkorb aber nicht geworden.

Mein Furunkel ist nach Schampels Meinung noch nicht ganz gut und muss noch bekurzwellt werden.

Frau Scholtz-Klink hat einen Aufruf erlassen, dass jede Frau sich einmal in der Woche zur Hilfe in bäuerlichen Betrieben stellen sollte. Weiter heißt es, sie verbitte sich aber jegliche Kritik der Helferinnen an den anderen Haushalten, und das ist ein weises Wort.

Am Keller hättest Du jetzt auch Freude. Aber ich habe ihn aufgeräumt, als die Omis aus dem Weg waren. Dabei stellte ich fest, dass die große Papierkiste überhaupt keinen Boden hat. Da sie nie völlig geleert worden war, hatte man das nicht gemerkt. Jetzt haut Kirfel die Ränder klein. Ich habe die zwei Zentner Kartoffeln bekommen und kann neue haben, wenn sie alle sind (ohne Marken). Als ich sie bezahlte, waren beide Siefkens reizend, der Bann ist also gebrochen.

Nun gute Nacht, Liebster. Wenn doch unser Haus erhalten bliebe, aber das weiß man ja nicht. Ich glaube, Osnabrück war ziemlich hergenommen, und es ist gut, dass Dein Zug nicht später fuhr und dass Du den Salat nicht mitkriegtest. Viele liebe Küsse, Dein Lött