Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 1. Juli 1942

Stettin, den 1.7.42

Liebster Mann!

Zuerst: der Umschalter funktioniert nicht, und deshalb wird der ganze Brief klein geschrieben, frei nach Stefan George. Zweitens, bitte, schreibe recht bald, denn da seit einiger Tagen jedes Mal das norddeutsche Küstengebiet und Bremen erwähnt wird, habe ich sehr viel Sorge, es könnte etwas bei Euch passiert sein. So, das war das Wesentliche.

Hier kommt der eigentliche Brief. Ich sitze hier im Wohnzimmer, Du kannst Dir ja alles vorstellen, der Himmel ist blau und sonnig, und ich finde mich und die Umwelt in herrlicher Ordnung. Soll ich nun die Reise chronologisch erzählen? Hans und ich sind nicht die Kölner Strecke gefahren, denn die war ja überhaupt nicht zu benutzen, abgesehen davon, dass die Zulassungskarten ausverkauft waren bis Donnerstag, sondern über Frankfurt, und das war sehr schön, denn die mitteldeutsche Strecke kannte ich noch nicht.

Wir fuhren sehr schön zweiter Klasse und bekamen sogar in Frankfurt einen Zug mit Speisewagen, weil der Zug aus Südfrankreich kam, und wir haben für Kriegsverhältnisse sogar sehr schön gegessen. Was mich dann besonders freute, das war die Fahrt: Frankfurt, Gelnhausen, Hersfeld, Erfurt, Weimar, Eisenach, Halle, Leipzig, Wittenberg, Berlin, mit Spessartausläufern, Rhön, Fulda, etwas Thüringen, Schloss Dornburg an der Saale und so. In Stettin waren wir dann um halb zwölf, und ich hatte von der pommerschen Landschaft einen sehr hübschen Eindruck, trotzdem es Nacht war, weil der Vollmond aufging und die Wiesen in weißem Nebel lagen, aus dem dann, weil es Bodennebel war, die Bäume aufragten.

Hier oben bei Schultzens ist es ja nun wirklich zum Erholen. Leider ist mein Koffer noch nicht da, und ich warte in einem einzigen Kleid, aber das macht nichts.

Hans ist ja reizend und ist glücklich, dass er mich hergelotst hat. Wir werden uns ja wohl nun öfter sehen, denn in ungefähr drei Wochen muss er wieder nach Düsseldorf, die Firma hat vor, dort einen großen Häuserblock zu kaufen, und dann bringt er vielleicht Thea nach Godesberg mit; es kann sogar sein, dass meine Reise zu Dir mit einer Reise von ihm nach Hamburg zusammenfällt, und dann bräuchte ich wieder nicht alleine zu reisen.

Gestern abend waren der Vetter Klaus und Herr Runge da. Runge ist als Soldat eingezogen und durch Schwertfegers hier auf ein irgendein Wehrbezirksbüro gekommen. Bei Nawotnys war ich heute morgen. Sie haben wohl das schönste Haus am Hang, sagt Thea. Frau Nawotny liegt so ein bisschen auf der Linie von Anita Stein, damit Du einen Begriff hast.

Jochen ist den ganzen Tag hinter mir her, ich solle von den Kindern erzählen. Thea ist auch reizend.

Ach, Harald, wenn der Krieg erst mal aus wäre und wir uns pekuniär auch so ein bisschen bewegen könnten wie die hier alle. Die Firma Fritzen siedelt übrigens mit ihrem Rest von Emden nach Stettin um. Hans spricht mit völliger

Selbstverständlichkeit von Deinem Eintritt in die Firma nach Kriegsende. Du kriegst auch noch mal einen Brief darüber, sagt er, aber er ist eben schreibfaul. Vorbereitet sei aber alles, sodass Du, wenn Du wolltest, sofort, wenn Du von den Soldaten entlassen wirst, entweder im Krieg oder nach dem Krieg, eintreten kannst. Also, es ist eine ziemlich sichere Sache. Die Mu fing nämlich in Godesberg an und meinte, wir hätten gesagt, das sei wohl nur so ein allgemeiner Plan gewesen, worauf Hans sagte, ne, ne, das ist gesagt, das abgemacht und völlig vorbereitet, sodass er sofort zu uns kommen kann, wenn er frei wird.

Und hier in Stettin merke ich auch wieder, genau wie in Husum, dass man auch an anderen Orten und nicht nur in Godesberg leben kann. Und stell Dir vor, Herr Fritzen hat dem Hans tatsächlich ein Geschenk von 100 000 Mark gemacht, ich habe es gestern gehört, als Runge kam und von Hans 25 000.- für seinen Onkel, der ein Gut kaufen wollte, als Hypothek oder Darlehen haben wollte und Hans hat das Geld sofort rausgerückt. In fünf Minuten war die Geschichte erledigt, und das ist in diesen kurzen Jahren, die er hier ist zusammengekommen. Damals, wie er uns das Geld lieh, hatte er tatsächlich noch nicht soviel.

Mit Thea verstehe ich mich ausgezeichnet. Sie ist ruhiger geworden und nicht mehr so krappig wie früher. Hans meint, jetzt wäre sie bald richtig gezogen, nur müsste man sehr aufpassen und die Zügel nicht locker lassen.

Ach, Pappi, schreibe recht bald. Ich habe heute keine Lust zum Schreiben mehr, erzählen könnte man alles viel besser.110 Küsse, Deine Lotti

 

Frau Schullny

Häuserblock in Köln?

Hans kann mir nicht mal schreiben, wann er in Emden, Minden, Hamburg ist, dann könnten wir uns mal treffen.

Verwandtschaft Schultz