Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, vermutlich Juli 1942
Juli 42
Liebster Mann,
beantworte doch bitte den Brief an Möller. Er ist auch schuld, dass ich überhaupt schreibe, denn wenn ich schon faulenze, dann schon ganz. Ausserdem ist immer das Gefühl dabei, dass ich Dir in acht tagen sowieso alles recht ausführlich erzählen kann und das hemmt meinen Schreibtrieb noch mehr.
Die age gehen ruhig dahin, tagsüber sonne ich mich und abends sind wir meistens mit Bekannten zusammen. Gestern war ich bei Schillings. Es war ein reizender Nachmittag. Frau Schilling hat eine ganz entzückende Schwägerin, die Frau seines Bruders.
Thea hat einen Kehlkopfkatarrh und kriegt keinen Ton raus.
Ich warte jetzt jeden Tag auf eine kurze Nachricht von Dir, ob und wann Du Platz für mich bekommst. Aber ich glaube, um eine Übernachtung in Hamburg werde ich doch nicht rumkommen. Hoffentlich kommen nicht noch andere Sachen dazwischen. Hier war Samstag-Sonntag allgemeine Urlaubssperre und es wurde viel gemunkelt. Aber es hat den Anschein, als ob sich was tun könnte.
FALLS Du erst spät etwas bekommen solltest und es zu spät für einen Brief ist, dann telegrafiere oder telefoniere doch (3 6224). Diesen Brief wirst Du ja auch wohl erst Samstag haben.
Ach, Pappi, ich glaube, Du hast doch eine nette Frau geheiratet. Was man alles hier so hinten rum hört … Hans ist ein eifriger Sammler derartiger Berichte.
Ich kann nun erst morgen wieder Post von Dir bekommen, denn hier kommt sie blos einmal am Tag.
Um noch einmal auf meine Hinfahrt zurückzukommen, ich dachte gestern abend noch einmal daran. Wenn es auch nur im D-Zug war und wenn man auch vom
Zug aus nichts von den Städten selber sieht, so hatte ich doch die ganze Fahrt über ein bisschen ein feierliches Gefühl, wenigstens die Umgebung der Orte zu sehen, die irgendwie von jeher einen Klang für mich hatten. Das fing an mit Frankfurt, dann mit Gelnhausen (mir seit Kinderzeiten bekannt aus einem romantischen Märchen von Brentano), dann Hersfeld, Fulda, die Rhön (die übrigens, was man vom Zug aus sah, sehr schön ist), Erfurt, Eisenach, Weimar (da sahen die Mitreisenden an meinem gleichgültigen Gesicht bestimmt nicht, wie feierlich es mir in diesem Augenblick zumut wurde), dann Weissenfels, die Saale mit den Schlössern Dornburg (sie müssen es gewesen sein ich erkannte sie nach einem Bild), Naumburg, später Wittenberg, vorher Leipzig. Und auf der Fahrt zu Dir werde ich, ich habe es auf der Karte gesehen, durch alle die Orte kommen, die mir aus den Fritz Reuterschen Geschichten bekannt sind, Stavenhagen, Nigen-Bramborg usw.
Uneigentlich meine ich, dass ich nicht schon wieder im September mit Dir nach Bayer kann, wenn es etwas werden sollte, eigentlich meine ich es doch. Du kannst doch auch nicht allein da rumlaufen, wenn die anderen ihre Frauen bei sich haben. Suche jetzt blos nichts zu teures, damit ich Geld spare. Hans machte den Vorschlag, ich solle dann jetzt lieber nicht zu Dir fahren und das Geld sparen und dafür lieber bei ihnen bleiben. Ich habe ihm blos die Zunge rausgestreckt.
Viele Küsse
Deine Lötte