Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 29. Juli 1942
den 29.7.42
Liebster Mann
eben ist die kleine Garnitur ins Bett gebracht worden, nachdem sie dicke Milch mit Schwarzbrot mit dem bekannten Appetit gegessen haben. Ich esse übrigens seit heute auch dicke Milch. Ist der Krieg an dieser Geschmacksänderung schuld oder bin ich an den berühmten sieben Jahren angelangt, in denen sich der Geschmack ändert? Ich weiß es nicht.
Gestern war ich mit den vier Jüngsten zur ärztlichen Untersuchung in die Mütterberatungsstelle bestellt worden. Urteil: Die Kinder sind alle ausgezeichnet instand und kräftig und gesund, darüber freut man sich denn doch immer wieder, denn schließlich ist es bei so vielen Kleinen eine Kunst, alle so gut in Schuss zu haben, dass man so mehrfach gelobt wird wie ich gestern.
Und Jürgen ist auch ein gut und kräftig entwickeltes Kind (das hat mich beruhigt, nachdem Hansi mit ihrer Weisheit ihm Rachitis angedichtet hat). Er hat sich übrigens in der letzten Zeit sehr gemacht und sieht augenblicklich entzückend aus. Damals hatte er noch viel von der schweren Verbrennung aufzuholen.
Der gestrige Nachmittag war im übrigen deshalb etwas reizvoll, weil wir fünfmal Alarm hatten, d.h., das fünfte Mal kam er um neun Uhr abends und das war wiederum ärgerlich, weil ich gerade mit der Mu im Kino war und der Film anfing, spannend zu werden. Man geht dann schrecklich unbefriedigt nach Hause. Heute nacht war dann wieder Alarm, aber durchaus unerheblich, und ich habe infolgedessen gar nicht die Entwarnung gehört.
Bitte, schick doch schnell die Raucherkarte. Sie wird schon lange ausgegeben, und heute sah ich zufällig in der Zeitung, dass schon Buchstabe K dran ist. Hinterher hat man dann so lange Laufereien, bis man sie hat. - Ich denke mir, dass morgen doch schon Post von Dir kommt. Denk mal, ich freue mich immer, wenn ich jetzt die Nachrichter oder die Blitzmädchen in ihrer Uniform sehe, weil es mich an Jever erinnert.
Heute habe ich die Rosen am Zaun aufgebunden. Das Wetter ist leider immer noch kühl, wenn auch bedeutend wärmer wie dort. Aber mein Koffer ist noch immer nicht da. Ich habe eben wieder eine Verlustanzeige mit der Inhaltsbeschreibung gemacht und muss nun das Weitere abwarten. Das Männchen in Jever wird doch nicht Korks gemacht haben? Der war so entsetzlich umständlich.
Eben kommt Helga aus dem Strandbad und erzählt strahlend, dass sie nun vom Dreimeter-brett springt. Sie hätte einfach nach rückwärts geguckt und wäre dabei vorwärtsgegangen, und nun hätte sie keine Angst mehr davor. Heidi hat jetzt auch Schwimmunterricht.
In der Zeitung stand heute, dass Karl Decker gefallen ist. Es scheint wohl im Anschluss an seine damalige Verletzung zu sein, nehme ich an, oder ob er wieder im Feld war? Ich fand, dass er irgendwie eine Parallele zu Berkenhoffs war. Bei beiden Familien war doch der Sohn die Hoffnung in ihrem irgendwie enttäuschten Leben.
Brausens scheinen sich ein Schaf zugelegt haben. Es schreit den ganzen Tag, aber mit einer fürchterlichen Stimme. Schafe haben überhaupt durchaus nuancierte Stimmen.
Ich wollt, ich wär in Jever!!!
Din Lött.