Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 4. August 1942
den 4.8.42
Liebster!
Deine Briefe gehen jetzt sehr schnell. Eben bekam ich den vom 3. mit der Karte von Theo.
Dass Du mir einen so lieben Brief schreiben möchtest, wenn Du Zeit hättest, habe ich mit Genuss und Intensivität dreimal gelesen. Darum bekommst Du auch gleich einen wieder. Und ich habe den ganzen Tag so etwas feiertägliche Stimmung, weil ich Dich heute morgen angerufen habe. Man schleppt dann noch ein Stückchen Jever mit sich rum.. Ich denke mir auch, dass Du heute abend wohl zu Carels gehst und wenn das vergeblich ist, morgen abend wieder. Dann weiss ich ungefähr, wo Dich meine Gedanken suchen müssen.
Will der Regen dieses Jahr überhaupt kein Ende nehmen? Bloß ist es hier immerhin warm, zwischen 18 und 20 Grad, so dass ich doch die Sommerkleider tragen kann. Übrigens kam mein Koffer gestern in einem lieblichen Zustand an. Das Schild war abgerissen, irgendeine klebrige Soße war über ihn gelaufen, und im übrigen muss der Deckel klatschnass gewesen sein, denn er ist völlig verbeult. Die Sachen innen waren auch feucht. Genug, ich habe ihn. Ich hatte mir schon Gedanken gemacht, was ich mir als nötigstes besorgen wollte und das von der Bahn bekommene Geld hätte ich dann für Abzahlungen verwandt. Aber so ist es vielleicht doch besser.
Wir essen hier stur Wirsing. Diese Nummernaufruferei beim Gemüse ist ziemlich blöd. Wir sind seit meiner Rückkehr noch nicht dran gewesen und werden auch wohl erst nächste oder übernächste Woche drankommen. Die zarten Böhnchen, die gelben Möhrchen, Tomaten, Rotkohl, Blumenkohl, Kohlrabi, alles geht an einem vorüber und darf einen nicht gelüsten. Nur Wirsing ist dran und manchmal Salat. Und wie es z.B. mit Zwiebeln vom Laarshof wird, ist doch sehr fraglich. Auch dort ist alles Gemüse beschlagnahmt, und in den Omnibussen werden die Leute und ihre Koffer, denn die meisten nehmen sich vorsichtshalber Koffer mit, untersucht. Die Mu hat an der Haltestelle Mehlem erlebt, wie ein Schutzmann mehreren Frauen, die natürlich losheulten, die Koffer wegnahm. Als ich gestern bei Bahn saß, erzählte er mir von einer Anzeige gegen eine Frau, die in einem Koffer 30 Pfund Stachelbeeren geholt hatte. Auch Frau Lambertz war in meiner Abwesenheit da und sagte, sie dürfe auch in Lannesdorf nicht mehr ohne weiteres an uns liefern. Als ich nach meinem Koffer auf der Gepäckabfertigung fragte, waren mehrere da, die kleine Eimerchen oder Kartons mit Obst an Verwandte express aufgeben wollten (nur so fünf bis zehn Pfund waren es). Die wurden alle umgeschickt, weil sie erst eine Genehmigung des Ortsbauernführers beibringen müssen, ehe Obst oder Gemüse zum Versand, auch in kleinsten Mengen, angenommen wird.
Eben kommt Jürgen an, der jetzt schon allein spazieren geht, und schreit: "Oma, auf.“ Er wird immer wonniger, leider auch entsetzlich eigensinnig. Es wird mir aber bei diesem Kind viel schwerer, nicht nachzugeben, wenn ich etwas verbiete,
als bei den Anderen, ich fühle, wie ich wachsweich werde, auch wenn er haut. Ich habe mich heute aber selber an die Kandare gekriegt und habe ihn, wie er beim Kaffee frech wurde, weil er nach zwei schönen Butterbroten die dritte Schnitte haben wollte und sie mit Haue und Kneifen erzwingen wollte, vor die Türe gesetzt und sie abgeschlossen. Statt dass nun ein Getobe losging, wie ich es erwartete, ging er nach einem Moment des Überlegens die Treppe rauf ins Kinderzimmer und spielte dort. Ich werde jetzt öfter so hart werden, sonst wird aus dem süßen Jungen noch ein unausstehlicher Bengel.
Ich glaube, meine Weichheit ihm gegenüber ist nicht nur dass er der Jüngste ist. Irgendwie, wenn ich ihn sehe, fällt mir immer wieder ein, dass wir Beide uns allein miteinander geplagt haben und das ja ziemlich hart und dann werde ich vor Zärtlichkeit ihm gegenüber völlig nachgiebig und lasse mich tyrannisieren. Sehr logisch ist das ja gerade nicht, aber es ist nun mal so.
Heute haben wir noch keinen Alarm gehabt, aber in der Kölner Ecke wird geschossen.
Willst Du Deiner Mutter von dem evtl. dreitägigen Urlaub schreiben? Aber dann bricht sie dort ihre Reise ab, und das lohnt sich eigentlich nicht. Lieber soll sie Dich in Jever besuchen. Ich habe gestern wieder einen Brief von ihr bekommen. Sie findet, wie jedes Jahr, dass sie eigentlich doch nicht hätte nach dort fahren sollen. Sie arbeitet um die Wette mit Nanne und hat nichts zu essen. Aber trotzdem Mutter die Reise nach Jever verlockend findet, wird sie es vorläufig nicht können, schreibt sie, weil sie bei Nanne und Tante Lina ihren Aufenthalt bezahlen muss. Außerdem hat sie im Krankenhaus noch viel abzubezahlen, weil ihr Tarif auf die Zweite Klasse gelautet hat und sie 1a gelegen hat.
Nun wird Schluss gemacht, Herr Endemann. Jürgen ist nach Hause gekommen und will mit schreiben helfen. Ausserdem muss ich die Nudeln für die Kinder aufsetzen, die haben sie sich eigens gewünscht.
Bis morgen!!
Din Lött