Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 14. September 1942
den 14.9.42
Liebster Mann!
Bei uns ist diese richtige Godesberger Herbstschwüle mit diesiger Luft, die am Tag auch durch den Sonnenschein nicht ganz verdrängt wird. Die Wärme nimmt auch in der Nacht nicht ab, und wenn wir auch darunter leiden, so begrüßen wir sie doch sehr und denken, dass wir hoffentlich noch lange Kohlen sparen können. Die Mu stöhnt sowieso vor Wonne über die Wärme (ich auch).
Vor mir, und jetzt werde nicht neidisch, denn abgeben kann ich Dir doch nichts, steht eine große Glasschüssel mit wundervoll süßen Trauben, verehrt von — Frau Siefken. Ich habe ihr ins Krankenhaus Gladiolen schicken lassen, weil sie mir erstens wirklich leid tat, und dann auch, weil ich daran dachte, dass Siefkens uns mit Kartoffeln ausgeholfen hatten. Die beiden feindlichen Häuser überschlagen sich nun in Liebenswürdigkeit, Aber so ist es doch schöner.
Vorhin waren Hermann und Elli bei mir als frisches Ehepaar und lassen Dich auch grüssen. Und davor tauchte, ich traute meinen Augen nicht, Hillenbrand, auf zu einem Sonntagsurlaub, der bis Dienstag früh dauert, sage und schreibe von Nikolsburg, falls Dir das ein Begriff ist, rübergekommen ist. Nikolsburger Frieden und so.
Die Kinder sind nicht richtig in Ordnung, erstens haben sie alle den Durchfall, und das kommt sicher vom Brot, zweitens liegt Klaus im Bett mit starkem Fieber. Ich nehme an, es ist eine Grippe, obendrein hat er auch ein großes Loch im Kopf, aber daher kommt es nicht, und Helga hat einen schrecklichen Ausschlag, der bisher immer noch um sich greift. Ich gebe ein Vermögen für Verbandszeug aus. Nun habe ich sie im Gesicht und an allen Stellen so doll verpflastert, weil dieser Ausschlag sehr ansteckend ist, dass ich sie morgen unmöglich in die Schule schicken kann. Damit ist sie nun wieder zufrieden. Ich selber muss zum Zahnarzt. Mein vorderer Zahn, der die Plombe hat, fängt scheinbar an der Wurzel an zu eitern. Er schmerzt noch nicht, aber er ist so merkwürdig. Nun kommt Ilse Gesler aber erst im Laufe der Woche zurück. Sie ist bei ihrem Mann, der, weil er schon wieder abgenommen hat, im Lazarett liegt.
Du wirst ja jetzt wohl auch zum Arzt gehen. Der Bonner Arzt, sagt Strenger, repariert die kleinste Kleinigkeit aus, weil er auf dem Standpunkt steht, dass der Krieg noch lange dauert und daher die Leute in Ordnung gehalten werden müssen. Ich würde auf jeden Fall da Dampf hintersetzen, denn undsoweiter.
Ich habe heute das Rad von Honnef bekommen, aber vorläufig wird bei der Bahn kein Ex-pressgut angenommen, auf unbestimmte Zeit. Ich müsste es beim Güterbahnhof aufgeben als Fracht, aber erstens, wie kriege ich das dahin und zweitens, schreib schnell, ob sich die Frachtaufgabe lohnt und ob das nicht zulange dauert.
Den von uns so ersehnten Klappwagen hat uns Honnef heute, nach soeben Wochen, glücklich zurückgebracht, unrepariert natürlich, weil er keine Speichen für das Rad bekommt. Und wir könnten ihn so gut brauchen.
Wenn ich schon am Reparieren bin, ich habe einen Tiefbauunternehmer für die Quellenstrasse, Horn von der Roonstrasse. Er lässt sich aber den Auftrag vom Wasserwerk geben, denn von mir als Privatmann darf er kein annehmen.
Von Mutter kam heute ein großes Paket mit getrockneten Erbsen und Bohnen. Schön, was? Wann sie zurückkommt, weiß ich noch nicht. Herkenraths fahren nun morgen endgültig nach Düsseldorf zurück. Sie haben noch mal acht Tage bei Schauss gewohnt. Düsseldorf sieht toll aus, wie Köln und die anderen Städte.
Nun bin ich gestört worden, weil verschiedene Leute bei mir telefonieren wollten. Das Bezahlen haben aber alle vergessen. Gute Nacht, ich bin so müde. Die vorige Nacht habe ich kein Auge zugetan, weil die Mu mal wieder echten Kaffee gekocht hatte,
Deine Lotti
Jürgen sah jetzt Dein Bild und sagte: "Pappi, fort, Puff-Puffbahn?" Woran Du merkst, dass auch Dein Jüngster spricht. Zu mir sagte er: "Altes Swein."