Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 5. Oktober 1942

den 5.10.42

Mein lieber Mann!

Wir haben einen fantastisch schönen Nachsommer. Ich habe mich mit der Schreibmaschine auf den Balkon gesetzt. Stören wird das Geklapper die Vorübergehenden ja nicht. Aber ich nütze jeden dieser herrlichen Tage aus. Stelle Dir vor, wir haben tagsüber 24 bis 25 Grad im Schatten, und alle Sommerkleider, die ich schon längst eingepackt hatte, sind wieder aus den Schubladen gewandert.

Ich musste nach Tisch mit Ursel und Klaus auf die Godesberger Kirmes oben an der Marienkirche, und wir haben den Weg dahin reichlich geschwitzt. Klaus konnte in einem Panzer fahren, was er mit großem Ernst tat, und Ursel ritt auf einem Schwein. Um sie wieder von diesen Herrlichkeiten wegzubekommen, musste ich ihnen bei Agner eine Orangeade versprechen. Die beiden Großen haben, und das empört sie erheblich, heute nachmittag Schule. Sie haben aber ihre Kirmesgroschen in die Griffeldosen gesteckt, und dann werden sie ja wohl bleiben, bis es dunkel wird.

Unten auf der Straße sitzt Jürgen und zieht sich wieder mal seine Schuhe und Strümpfe aus. Er hatte es sich in den kalten Tagen glücklich abgewöhnt, und nun fällt es ihm jeden Tag wieder ein. - Kannst Du für Heidi nicht auch eine Tafel Schokolade bekommen oder irgendwas Vielleicht ein kleines Geschichtsbuch. Etwas wird sich für die kleine Maus doch finden lassen.

Heidi will, wenn sie groß wird, nur Bäuerin werden. Sie wälzt schwere Probleme in ihrem Kopf. Zuerst mal, wo sie den entsprechenden Mann herbekommt, der ihr als solcher Nebensache ist, aber seinen Bauernhof will sie haben. Zweitens muss der Hof nicht so sehr lütt sein, ungefähr wie der Birkenhof, auf dem sie damals mit war, das will sie auch wieder nicht, und dann überlegt sie, wer wohl die Pferde und die Gänse wäscht. Sie meint, das könne der Mann ja tun, sie will den Garten übernehmen. Helga geht, wie Fräulein Hunscheidt sagt, mit Siebenmeilenstiefeln voran.

Ach, Pappi, war das heute ein gemütlicher Nachmittagskaffee auf dem Balkon. Die Mu hatte Bohnenkaffee gekocht (wieviel hat sie eigentlich noch davon?), und zwei dicke Briefe von Dir lagen da. Habe ich mich gefreut. Ärgere Dich nicht über den Obergefreiten. Mehr wirst Du ja voraussichtlich doch nicht, und der Führer hat's auch bloß bis zum Obergefreiten gebracht. - Warum hatten Carels eigentlich Krach? Die sahen doch bestimmt nach einem zufriedenen Ehepaar aus.

Hattest Du gestern die Göringrede gehört? Sie war doch sehr schön, nicht nur, was das Nahrhafte an der Sache betrifft. Der Mann findet doch den richtigen Ton mit dem Volk, er hat so einen Schuss Gemütlichkeit in seiner Rede, die einem alles einleuchtend macht.. Als er über die Verwaltungsfrage in den Ostgebieten sprach, musste ich an Dich und Deine Frage dabei

Denken. Erkundige Dich doch mal, wie alles gemeint ist. Vielleicht findest Du doch eine Dich befriedigendere Tätigkeit für die Dauer des Krieges, eine Tätigkeit, in der Du Deinen Dir angeborenen Fähigkeiten freien lauf lassen kannst. Das A und O ist natürlich der Grossen Familie wegen die Gehaltsfrage und das müssen die Leute ja auch einsehen.. Sie darf zumindest nicht niedriger sein als der Familienunterhalt und, wäre es für immer, müsste sie natürlich befriedigend sein.

Jetzt musst Du mir auch die Stader Telefonnummer schreiben für alle Fälle.

Herrn Schlades Esskastanien sind reif. Der gute Mann platzt vor Wut. Niemand geht vorbei, ohne Attacken auf den Baum zu machen und Löcher in seinen Zaun zu bohren. Vor ein paar Tagen hat er sich bei mir beschwert. Da waren Helga, Tulita und Erika die Karnickel.

Jetzt wird wohl jeden Tag Hüllen mit seiner Fuhre kommen. Ich habe schon 160,- Mk. für alle Fälle in meinem Schreibtisch liegen. Jeden Tag begucke ich sie mir wehmütig und denke, was für schöne Sachen man dafür kaufen könnte:

Nun muss der Brief in den Kasten. Ich habe eine schöne halbe Stunde die ich noch hätte verschreiben können, mit Frau Siefken von Balkon zu Balkon verklöhnt, oder vielmehr von Balkon zu Fenster. Und um sechs Uhr ist die letzte Lehrung.

Ach, ich habe Dich lieb und möchte Dich hierhaben. Stade ist gar kein Begriff für mich. Ob Du Weihnachten oder Neujahr kommen sollst? Wie Du es lieber hast. Schöner ist ja beinahe für mich Neujahr, weil man da das ganze Fest über die Vorfreude hat, aber für Dich ist ja das andere höchstwahrscheinlich schöner.

Nun ist der Brief doch nicht fortgekommen, denn eben war Lollo hier.

Ich habe Dich lieb, Ich habe Dich lieb, ich habe Dich lieb.

Deine Lotti