Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 6. Oktober 1942
den 6.10.42
Liebster Mann!
Diese Kaffeestunde haben wir beide ganz für uns allein. Die Mu macht mit einer Bekannten einen Spaziergang, und Lisbeth beschäftigt sich mit den Kindern. Der Oktobertag draußen ist sehr grau und neblig, so dass das Licht im Stövchen zu seiner vollen Wirkung kommt. Es ist ziemlich dunkel im Zimmer, aber sehr behaglich, weil das Licht den Augen ein Ziel gibt. Das Angenehme bei dieser herbstlichen Behaglichkeit ist, dass es trotz des regnerischen Tages 17 Grad sind. Hoffentlich ist noch lange kein Ofen nötig.
Trude lud mich ein, nach Düsseldorf zu kommen. Was meinst Du? Sie meint, Düsseldorf sei so erledigt, dass vorerst wohl kein großer Angriff mehr sein würde. Ich habe keine große Lust, denn ich weiß von Wilhelmshaven her, wie einem eine solche zerstörte Stadt doch auf die Nerven geht. Der Zweibrücker Hof ist übrigens restlos hin, die schöne Kö überhaupt nur ein Schutthaufen. Hattest Du auch Bilder davon gesehen. Im Mittag waren mal welche. Ich gIaube, ich fahre auch nicht hin, denn eine Freude ist eine Grosstadt unter solchen Verhältnissen nicht und Trude schätze ich, wie gesagt, mehr hier als in ihrem Haus.
Von Hansi haben wir außer dem Telegramm nichts wieder gehört. Dabei sollte sie seit dem vierten doch schon irgendwo arbeiten. Vielleicht kommt die nächste Karte schon aus dem Osten. Schultzens hüllen sich auch in Stillschweigen, und Thea hätte doch bestimmt Zeit zu schreiben.
Übermorgen kocht Deine Mutter wieder. Sie ist noch einmal ein paar Tage zu Nanna gefahren. Lisbeth setzt morgen ihre Zimmer instand, was das Bodenwischen usw. angeht, und ich werde die Verschönerung incl. Blumenhinstellen übernehmen. Nach ihren Karten verspreche ich mir von ihrer Erholung ja nicht viel.
den 7.10.42
Gestern habe ich nun doch nicht weitergeschrieben. Es fiel mir so viel ein, was noch getan werden musste, und da hatte ich die innere Ruhe nicht mehr.
Manchmal gehen meine Gedanken in die nächsten Jahre und wie die wohl aussehen werden. Bleibt dieses Haus unsere Heimat oder sieht uns eine andere Stadt? In diesem Fall malt man sich ja ein besonders schönes Haus aus mit einem Garten und einer großen Terrasse. Und die Blagen sind aus dem ersten Dreck!!! Stell Dir vor, die drei Kleinen schwimmen jeden Morgen in ihren Bettchen, und wir verzweifelten Hühner wissen nicht, wo wir bei diesem nebligen Herbstwetter Kopfkissen, Wolldecken und Matratzen trocknen sollen. Es ist wirklich zum Ausreißen. Ich war bei Dr. Monar, der mir wenigstens für Klaus und Ursel Tropfen verschrieben hat, die angeblich helfen sollen, aber bis jetzt, nach dem zweiten Fläschchen, habe ich noch nichts gemerkt. O
Ob das jemals anders wird?
Eben war Dein Paket angekommen, und ich danke Dir herzlich. Besonders die weiße Schuhcreme war nötig. Mit schwarzer bin ich jetzt genügend eingedeckt, besonders, wo ich und die Kinder fast keine schwarzen Schuhe mehr haben. Das Paket ging aber doch schnell.
Ach, Harald, wie sehne ich mich nach unseren hübschen zweisamen Kaffee-und Abend-stunden oder nach Samstagnachmittag und -abend, der nur uns beiden gehört, ohne Kinderlärm. Sie können einem doch manchmal sehr auf den Nerven rumtanzen, und der unerwarteten Zwischenfälle sind unzählige. Und das ist eben das Schlimme.
Ich habe ein neues Farbband eingespannt. Ich kann so leichtsinnig sein, wo ich noch zwei im Vorrat habe. Immerhin war dieses auch dreiviertel Jahr alt.
Hinter mir essen die Kleinsten zu Abend, siehe Büro = Kinderzimmer. Manchmal ist das unbequem für Abrechnungen usw.
Die Mu war im Kränzchen und hat die Neuigkeit mitgebracht, die ich schon, allerdings nur im Vorbeigehen, gehört habe. Pfarrer Zunn ist aus dem Amt, als Pfarrer und als Offizier, angeblich Weibergeschichten. Nun läuft er rum und sucht eine Stelle, und Frau Zunn hat sich schon bei der Reichskulturkammer gemeldet, um ihr Brot für sich und die Kinder zu verdienen. Sie darf, bis sich etwas gefunden hat, im Pfarrhaus wohnen bleiben. Ist das nicht erschütternd? Nun kannst Du Dir denken, wie der Fall in allen Kaffeekränzchen und allen Familien durchgehechelt wird. Ich habe großes Mitgefühl mit der armen Frau. Auch das wäre ohne Krieg wohl nicht gekommen. Aber schließlich, der Krieg zerstört nicht bloß, er baut an und in anderen Familien ja auch auf, wenn wohl auch in geringerem Maße.
Fräulein Himpke sagte mir vorhin, der ganze Transport Blitzmädels sei nach Stade gekommen, der vorige Woche wegging. Da werdet Ihr ja reich gesegnet.
1000 Küsse, Din Lött
Der Brief muss fort, daher die Eile.