Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 1. Dezember 1942
den 1.12.42
Mein liebster Mann!
Nun ist das Leben wieder im alten Rhythmus ohne Mann und Pappi gelandet. Es schmeckt noch nicht richtig, und das Problem, warum und wieso das alles so sein muss, wird man wohl nie fertig denken können bzw. sich damit abfinden. Ein Glück, dass Weihnachten nicht mehr so unerreichbar fern ist. Und das Bett bleibt bezogen, bis Du kommst, schon dass ich abends die Illusion habe, Du kommst gleich nach. –
Die zwei Großen haben miteinander und (auf dem Rückweg) um die Wette bis ans Haus geheult. Die konnten sich überhaupt nicht mehr einkriegen. Meine Mantelärmel waren von Tränen und Schnupfnasen feucht. Und wie bist Du, dem dies alles galt, hingekommen? Heute Nacht bin ich zweimal aufgewacht und dachte an Dich und um 10 tat ichs ebenfalls, weil da der Dienst anfing. Ach, mein lieber, lieber, allerliebster Mann!!!
Draußen braust ziemlich heftiger Wind, den man, weil er gegen das Haus steht, bis ins Zim-mer spürt. Zum Abendessen habe ich so eine Art Wurstbrötchen gebacken (Münster seligen Angedenkens), und dazu gab's Kartoffelsalat. Dies Rezept habe ich neu ausprobiert, und es ist sehr gut gelungen.
Helga sitzt nun auch hier oben, trotzdem die Dame schon im Bett verschwinden soll, und schreibt einen Vers in Tulitas Album. Sie nimmt nicht den Vers vom Engel, der da rief zu dem, der schlief, sondern den ebenso schönen, der da mahnt, man solle wie das Veilchen im Moose blühen, still, sittsam und rein und nicht wie die stolze Rose, die immer bewundert will sein. Das Datum musste natürlich über die Ecke.
Ich selber habe als erstes den Bürokram weggearbeitet. Fräulein Wolff war natürlich mit der Beerenrath-Rechnung sofort da und hat sie mir hier gelassen bis Du kämest. Dem Redeschwall war ich nicht gewachsen. Na, Punkt dahinter.
Bitte Harald, schreibe rasch die Adresse von dem Lehrer, damit Du Deine Weihnachtsplätzchen bekommst.
Heute traf ich zufällig Herrn Stöwer. Man sah ihm schon von weitem an, wie er die Ohren hängen ließ, und er stürzte sofort auf mich zu, um mir zu sagen, dass er heute zu einer Fronttruppe abkommandiert sei und heute abend schon fahren muss. Nun hatte er gedacht, er könne den Krieg hier beenden, und das war sein fester Vorsatz, der Arme. Übrigens, was Gespräche über die Leitung betrifft, meint er, das könntest Du allemal, und am besten nach acht Uhr abends. Du musst dann die Brandwache erreichen in der Schule, meinte er wenigstens, die dann nach mir umstellt,
oder habe ich das falsch verstanden? Und er meint, ich könne auch jederzeit von der Brandwache aus sprechen. Erkläre Du das mal genauer und gib Deine Meinung dazu. Weißt Du, so jede Woche mal gründlich miteinander sprechen zu können ohne auf die drei Minuten achten zu müssen, hat doch was für sich.
Heute steht in der Zeitung, dass sich alle Frauen von HJ-Kameraden, die im Felde stehen, beim Bann melden sollen und dort ihre Anschrift und die Namen und Geburtsdaten ihrer Kinder angeben sollen. Das wird wohl auf eine Weihnachtsbescherung hinauslaufen, weil die HJ ja altes Spielzeug gesammelt hatte. Vielleicht komme ich doch noch an Soldaten für Klaus. –
Zufällig traf ich Edith Vogel. Charlie ist am mittleren Abschnitt in Russland. Das Auto ist ebenfalls weggeholt worden.
Ich sass eben eine ganze Zeit und dachte an den hübschen Abend, der uns ganz allein gehörte mit dem Kammermusikkonzert. Ich bin dafür, dass wir den nächsten Urlaub teilen, ein Abend mit Omis, ein Abend ohne. Es braucht dann nicht viel zu geschehen, nur wollen wir die Schönheit und ruhe unseres Zimmers zu zweit auf uns wirken lassen. Heute abend möchte ich z.B. am liebsten ganz allein hier sitzen.,
Die Mütter reden ohne Punkt und Komma. Das, was ich so eigentlich so schreiben wollte, so allerlei Gedanken um uns kann ich nicht, ich kann nur bruchstückweise dran denken. Du musst es also nehmen wie es ist.
Ich habe Dich lieb, und gleich gehe ich ins Bett und überdenke die schönen fünf Tage. Hier unten komme ich doch zu keinem vernünftigen Gedanken.
Im Film war ich heute nicht. Ich hatte keine richtige Lust dazu, weil ich erst mal mein Gewissen besänftigen musste und allerlei im Haushalt nachholte.
Din Lött.