Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 19. Dezember 1942
den 19.12.42
Liebster Mann!
Tante Grete würde sagen: 'Ich bin wie ein gehetztes Reh' in diesen Tagen. Ich habe auch schon seit gestern morgen vor, Dir zu schreiben, aber..... Nun sitze ich mit den Kindern hier in Büro-Spielzimmer, d.h., mit den beiden Großen, die anderen schlafen schon, und es werden Weihnachtsarbeiten für die Omis gebastelt. Das ist wirklich eine schwere Arbeit für mich, nach dem Tagesbetrieb vier unnütze kleine Pfoten so zu lenken, dass die Arbeiten nicht schon während des Herstellens verdorben werden, dass keine Flecken draufkommen und was so mehr ist. Würde ich den beiden jetzt nicht entschlossen den Rücken drehen und Dir schreiben, wird heute abend wieder nichts aus dem Brief, aber sollen sie in Gottes Namen einen Fleck auf die guten Stücke produzieren, ich schreibe Dir jetzt.
Und draus war nichts geworden. Ich konnte plötzlich nicht mehr, ich wollte mich zwingen, aber es ging nicht, und ich musste mich auf die Couch legen. Nun bringe ich die Gören ins Bett, gehe dann selber rein und schreibe morgen weiter. Aber ich denke sehr lieb an Dich und würde Dir so gerne einen recht langen Brief schreiben. Aber ich bin die letzten Tage zu viel treppauf treppab gerannt, und dann das lange Schlangestehen heute morgen vor Barnikel wegen der Süßigkeiten, gestern im Päda wegen der Raucherkarten usw. greift einen ein bisschen an. Und dann soll bis Weihnachten alles blinken und wunderschön sein und nichts soll fehlen.
den 20.12.42
Ach, liebster Mann, nun wird dies beinahe der Weihnachtsbrief. Morgen und übermorgen schreibe ich aber wieder, damit Du auf jeden Fall am Weihnachtsabend Post hast. Und irgendwie kommt mir die ganze Schreiberei nebensächlich vor, weil dahinter der Urlaub steht. Vor fünf Minuten ist übrigens auch die Kiste Wein gekommen. Ich war richtig froh, dass ich nun so ein schönes Geschenk für Dich habe. Der Silvesterabend wird für uns beide der richtige Weihnachtsabend sein. Alles andere ist nur Vorfreude.
Draußen regnet es (leider), und alle fünf toben unten rum. Wir haben sie eingeschlossen, damit wir unserer Arbeit ungestört nachgehen können. D.h., es toben nur vier, Helga sitzt hier bei mir und liest ein Timmermannsbuch nach dem anderen. Sie hat Spaß daran, und ein gutes Buch für Erwachsene kann nie den Geschmack verderben, wenn sie auch noch nicht alles versteht. Gestern abend las sie den Kleinen im Bett des Tryptichon von den heiligen drei Königen vor, was bei denen seine Wirkung aber durchaus verfehlte.
Heute nachmittag will ich Zweige versilbern und noch die kleinen Spitzendeckchen waschen. Morgen wird der Stollen gebacken und übermorgen die Wohnzimmer reingemacht und abgeschlossen Und dann steht ja Weihnachten vor der Tür.
Heute nachmittag war ich mit den Kleinen erst in der Kindergarten-
weihnachtsfeier und dann mit den beiden Großen in der Weihnachtsfeier vom Kindergottesdienst. Helga muss einen Teil der Weihnachtsgeschichte aufsagen und hält darauf, dass ich mitgehe.
Übrigens habe ich gestern den Film gesehen mit Victor de Kowa und Ilse Werner: Wir machen Musik. Lass ihn Dir nicht entgehen, wenn Du einen wirklich entzückenden Unterhaltungsfilm sehen willst. Ich hatte meine helle Freude.
Ach, mein liebster, liebster Mann, wie gerne hätte ich Dich jetzt hier und würde alles mit Dir gemeinsam machen. Und wie gerne hätte ich mal wieder Post von Dir.
Heute Nachmittag oder morgen schreibe ich weiter.
100 liebe Küsse
Deine Lotti