Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 21. März 1943

21.3.43

Liebster Mann!

Nun haben wir den Sturm der Abreise hinter uns und auch die Flaute, die immer kommt, wenn Besuch aus dem Haus ist, das merkt man besonders, wenn der Besuch am Sonntagmorgen geht. Ob Heidi unter dem Abschied gelitten hat, weiß ich nicht, sie ging sehr vergnügt fort, bloß, als sich der Zug in Bewegung setzte, glaubte ich zu sehen, dass ihr Gesichtchen etwas starr wurde. Die Beweggründe, die Thea leiteten, waren genau die, die ich damals vermutet hatte. Sie soll ab April Halbtagsheimarbeit für einen Rüstungsbetrieb machen, und nun will sie bis dahin ein Kind im Hause halten. Unser Thea bleibt eben immer dieselbe.

Den Sonntagsnachmittag habe ich nun wie immer verbracht, auf die Kinder aufgepasst und eine Zeitlang bei Helga gesessen, die noch etwas erhöhte Temperatur hat, aber sonst die Halsentzündung überwunden hat. Bloß hat sie jetzt wieder den scheußlichen Ausschlag an Nase und Mund bekommen. Ich vermute auch, dass das Kind überempfindlich ist in Bezug auf Fieber und Medikamente. Ich lasse sie deshalb auch noch ein paar Tage im Bett, schon damit sie sich gründlich ausruht. Nun liegt sie und liest und hat ihre Puppe bei sich. Sie liegt übrigens in Deinem Bett für die Zeit ihrer Krankheit. Weißt Du, in die Aufgaben dieses Kreises, Familie, Kinder, ducke ich mich förmlich wie in ein Nest gegen all das Schreckliche draußen. Ich habe auch nie so völlig der Gegenwart gelebt wie gerade jetzt, schon weil es auf den Frühling zugeht, von dem niemand weiß, was er bringt.

Thea hat übrigens ein dolles Glück gehabt in Bezug auf den Alarm.

In der ganzen Zeit gab es überhaupt keinen. Ich vermute aber, dass es heute abend bestimmt welchen geben wird, schon weil sie weg ist.

Vorläufig merkt man hier von den Geschäftsschließungen noch nichts. Es wird wohl noch kommen. Meine letzte 'neue Linie' habe ich gestern gekauft. Ich habe dann versucht, das 'Reich' zu abonnieren, aber die paar Exemplare, die da sind, müssen frei verkauft werden, und ich muss dann versuchen, donnerstags rechtzeitig an der Krippe zu sein. Die Frage ist bloß, wie lange der 'totale Krieg' dauern mag? Ich habe jetzt in der Wochenschau Bilder ge-sehen von der Grundsteinlegung und dem Bau neuer Rüstungsbetriebe von riesigen Aus-maßen, und mir ging immer durch den Sinn -----"Wenn, was dort wird gebaut, für diesen Krieg wichtig ist, dann weiß ich, wie lange der dauert“. Hans ist übrigens vorgestern gemustert worden und A.V. geschrieben worden. Thea hier und Hans dort am Apparat haben einen Indianertanz aufgeführt. Hans hat sich dann zur Feier mit Hans Runge betrunken.

Vorgestern kam auch im Auftrage unseres neuen Schwagers und Schwiegersohns ein Matrose und brachte eine große rote Azalee. Auch bei Hansi war ein Matrose gewesen und hatte Blumen, eine Pelzweste und Schokolade gebracht. Ich glaube, der neue Schwager schickte das ganze Boot so nach und nach los. Vorläufig ist der Schwager ja noch in Kirkenäs. Der Matrose brauchte allerdings keinen langen Umweg zu uns zu machen, denn es war der Milbert aus Rüngsdorf, der mit seinem Boot Luise immer bei Dreesen liegt. Milbert hieß er ja wohl und ist bei der Godesberger Motorbootgenossenschaft. Er hat zu seiner Urlaubsreise einen Monat und vier Tage gebraucht, weil er unterwegs in einem verlassenen norwegischen Nest vierzehn Tage stillliegen musste, ehe ein Transpost weiterging. Ach Pappi, ich bin doch froh, dass ich Dich näher habe.

Und sonst weiß ich nicht viel. Morgen früh muss ich meines Zahnes wegen zu Ilse Gesler, und morgen abend bin ich bei Frau Hillenbrand eingeladen, die überhaupt die letzte Zeit etwas zu kurz gekommen ist, genau wie Du, alles wegen der Besuche, der Reisevorbereitungen und all sonem Kram. Ausserdem muss ich mich innerlich auf den Hausputz vorbereiten, zu dem ich diesesmal keine richtige Lust habe, vielleicht auch, weil man außer Waschpulver und Seife nicht viel hat, mit dem man Glanz in die Sache bringen könnte. Radermacher ist trotz mehrmaliger Erinnerung noch nicht dagewesen, um die Glastüre zu machen.

Ich habe einen schönen Spruch gelesen, den ich Dir eigentlich mkaufen wollte, den Du Dir aber auch selber mit schönen Buchstaben aufmalen kannst und an dem sich Dein Gemüt ob Deiner Vorgesetzten Eigenheiten abreagieren kann: „Jede Jeck es anners“. Bewahre den Spruch in Deinem Hirn für alle Eventualitäten in Deinem Soldatendasein, und vielleicht musst Du dann lachen statt Dich zu ägern.

Nächste Woche ist April, und dann können wir vielleicht schon sagen: nächsten Monat. Und von April ab lebt man auf den Urlaub zu, und hoffentlich kommt nichts dazwischen.

Gute Nacht, Pappi. Ich bekomme Sehnsucht nach Heidi und bereue, sie so weit weggegeben zu haben. Aber sie wollte es ja auch so gerne, und eine Luftveränderung schadet ja auch nicht.

Viele, liebe Küsse,

Deine Lotti.

Muss ich, wenn ich die Abrechnung zum Landratsamt gebe, auch die Provisionen Verwaltung Engels und Grashoff aufführen? Die rechnen wir doch immer erst Ende des Jahres ab. Ebenso Salvini. Nur die lege ich doch immer vor.