Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 28. März 1943
den 28.3.43
Liebster Mann!
Wir haben einen völlig verregneten Sonntag, aber im März wirkt so ein Dauerregen doch nicht so trostlos wie im November, weil eben der Frühling dahintersteht. Ich habe eben eine ganze Zeitlang an unserem Schlafzimmerfenster gestanden und nur zugehört und zugesehen, wie es regnete, und auf die Vogelstimmen geachtet. Und vor dem Hintergrund des Krieges kriegt auch alles, was man an Schönem erlebt, und wenn es noch so bescheiden ist, eine starke Prägung, die das Unterbewusstsein verschafft: Es könnte auch anders sein.
Und danach haben wir einen richtigen, altmodischen Familienkaffee getrunken mit allen Kindern am Tisch und einem großen Rodonkuchen, der dann wieder für die große Familie zu klein war. Zu zweien langt's an einem gewöhnlichen Sonntag wieder nicht. Und nun fangen die Kinder an, langsam lästig zu werden, weil sie den ganzen Tag noch nicht die Möglichkeit hatten rauszulaufen. Klaus und Jürgen haben nun das Kegelspiel bekommen, und Ursel steht neben mir und quält mich mit der Frage, ob ich eine Nähmaschine sein möchte, und als ich entsetzt verneinte, meinte sie: "Dann würdest Du ja auch gepickt.“
Mit Helga will ich gleich, weil wir so schöne Regenkapuzen haben, spazieren gehen. Und dann wird der Tag auf die übliche Weise zu Ende gehen, das Essen für die Kinder wird gemacht, gegessen wird, der Nachrichtendienst abgehört und auf der Couch gesessen, bis wir ins Bett gehen.
Das Schultzsche Nichtschreiben ist lediglich auf Schreibfaulheit zurückzuführen, mach Dir da bloß keine Gedanken. Hans ist ja ein süßer Schwager, das habe ich jetzt noch bei einem Telefongespräch gemerkt.
Der andere, der neue Schwager, hat auch heute geschrieben. Er fühlt sich scheinbar da oben in Kirkenäs ganz wohl, wird aber doch in Kürze versetzt und will dann auf der Durchreise in Berlin mit Hansi zusammentreffen. Er will auch, dass sie sich nach Berlin versetzen lässt und dann zu seinen Eltern auf Kriegsdauer zieht. Überhaupt wird ja auch Berlin der spätere Wohnsitz, denn er ist bei den Lokomotivwerken angestellt.
Ich freue mich, wie gut die Kleidung der Kinder jetzt instand ist. Ich habe in den letzten Monaten an Wäsche, Strümpfen und Kleidung besorgt, was ich kriegen konnte auf die Karten, so dass es jetzt richtig Freude macht, sie anzuziehen, und dass es jetzt möglich ist, alle fünf ordentlich angezogen zu sehen, ohne dass man im Bedarfsfalle vor einem Nichts im Wäscheschrank steht. Klaus muss ich jetzt noch richtige bunte Jungenshemden besorgen. Überhaupt muss immer wieder ergänzt werden, aber deswegen sind auch die Kinderkleiderkarten die einzigen, mit denen man überhaupt Bewegungsfreiheit hat.
Was mir jetzt in den Fingern kribbelt, ist der Gesamtzustand des Hauses. So müsste einmal mit großem Schwung an allen Ecken erneuert werden, ebenso Geschirr und Hausrat. Ich glaube, deswegen allein müssten wir nach dem Krieg mal in der Lotterie gewinnen.
Ich habe den Film bei Biederbick besorgt. Ebenso schickte ich Dir den Rest der Litzen. Ich konnte nicht alle auf einmal schicken, weil sonst der Feldpostbrief zu schwer geworden wäre. - Langsam wird der Nachmittag doch trostlos. Das Radio hat auch nichts anderes wie Hein Mück aus Bremerhaven. Soll ich Patience legen? Oder lesen? Helga ist mit Willi auf und davon, und deshalb wird wohl auch nichts aus dem Spazierengehen.
Ich habe gestern den Durchschlag des Hans Banthienschen Briefes an Dich bekommen und gleich auch die Überweisung der Zinsen fertiggemacht. Ich will dann heute abend einen entsprechenden Brief, in dem ich dann auch allerlei von der Familie erzähle, schreiben.
Gestern stand übrigens in der Zeitung, dass dieses Jahr keine Einkommensteuerveranlagung für 42 erfolgt, sondern dass sie zusammen mit 43 gemacht wird. Es werden dadurch einige Tausend Tonnen Papier gespart. Wie wirkt sich das beim Familienunterhalt wohl aus? Die können sich dann doch wohl nicht nach der Einnahmeaufstellung, die ich ihnen jetzt einreichen werde, richten, denn dabei werden doch nicht die Ausgaben berücksichtigt? Und ich habe keine Lust, erst mal die Gesamteinnahmen abgezogen zu kriegen, bis dann im Sommer 1944 die Veranlagung erfolgt. Da ich ja jeden Monat 80.- bis 90.- Mk. (auf dem Papier!!) einnehme, würden sich mich doch mindestens um 60.- Mk. monatlich, d.h. 180.- Mk. für das verflossene Vierteljahr kürzen. Das macht mir natürlich keinen Spass. Du meintest auch, ich solle nur Engels am Ende des Jahres berücksichtigen. Grashoff rechne ich doch auch erst am Ende des Jahres ab und Salvini höchstens halbjährlich. Wenn sie auch die 25.- Mk. monatlich überweisen, so lege ich doch immer aus, mindestens das, was die Verwaltungsprovision ausmacht.
Bitte, Liebster, lass es Dich nicht stören, dass der Brief mit Geschäftlichem aufhört. Es fing mit dem Banthienschen Brief an. Jetzt bist Du schon drei Wochen wieder fort, und drei Monate dauert es, bis Du kommst. Sehr lange, nicht wahr?
Seit ich meinen Füllfederhalter nicht mehr habe, finde ich auch keine richtige Feder und keinen richtigen Federhalter mehr.
Viele liebe Küsse Deine Lotti