Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 11. April 1943
den 11.4.43
Liebster Mann!
Nun, nach Tisch, kommt ein Brief ohne geschäftlichen Krampf. Das Essen war sehr lecker, Rouladen mit Rübstiel. Meine Zigarette rauche ich gleich während des Nachrichtendienstes. Und nach dem Kaffee gehe ich mit den Kindern spazieren.
Immer, wenn ich an Dich denke, weiß ich, wo meine Gedanken hingehen können, und dieses ist schön. Es geht allerdings immer blos bis zum Schlagbaum des Horstes, den könnte ich ja noch malen, mit allem, was davor und was dahinter ist. - Und wenn es nur acht Tage wären, wäre es schön. Vielleicht rechnest Du die Möglichkeit heraus. Überlege es Dir.
Ich wäre gerne in die Matthäuspassion gegangen. Aber alle drei Aufführungen waren ausverkauft. Wie mancher, der sein Geld nicht anders unterbringen kann, wird hinterher von dieser Anlagemöglichkeit enttäuscht sein.
Gestern, als die Omis und ich in den Film gingen, trafen
wir, vom Königsplatz kommend, Büb, Klaus und Jürgen auf dem Kriegspfad gegen Manfred. Jürgen beachtete uns kaum, vor Stolz, mit den Jungen mitmachen zu dürfen, und zog immer nur eifrig an seiner Trainingshose, die ihm unter den Bauch gerutscht war. Auch der wird groß. - Und wo bleiben unsere schönen Jahre? - Ich habe mich mit Lollo getroffen. - Sie wohnt jetzt vier Jahre in Ehreshoven, genau so lang wie am Bayenthalgürtel, nur dass die Zeit ihr doppelt so lang vorkommt. Stühlen wird jetzt auch eingezogen. - Und wie steht's mit Afrika? Werden wir es halten können? Es sieht beinahe nicht so aus.
Hier mussten auch die Wohnungen angegeben werden. Godesberg füllt sich schon jetzt mit Fliegergeschädigten.
Von Ilse habe ich noch nichts gehört. Von Geschäftsschließungen ist in Godesberg noch nichts bekannt. Vielleicht kommt es mit einem Schlag.
Pappi - ich - habe mir einen neuen Hut gekauft. Bist Du nun zufrieden? Ich glaube, es würde Dir gefallen. Du hast mir den Floh ins Ohr gesetzt, wochenlang habe ich dann geschwankt, aber der gute Ausgang mit dem Landratsamt hat mich dann umgeworfen. Da war's dann gestern in einer Viertelstunde geschehen.
Montag
Heute morgen habe ich Dir in einem Päckchen die entwickelten Bilder von Dir und Deinen Kameraden geschickt. Schreibe, ob sie angekommen sind.
Und dann schreib doch mal, soweit Du darfst, was sie mit Euch in Jever vorhaben. Ist Hauptmann Rech auch mit? Bleibst Du auf der Schreibstube oder haben sie was anders mit Dir vor? Tu doch mal endlich was für meine Neugierde. Ist Hohle auch mit, oder machen sich seine Magengeschwüre wieder bemerkbar? Denn das Mädchen wird ja wohl nicht mit nach Jever verlegt worden sein.
Helga lässt einen Gruß bestellen. Zum Schreiben schwingt sie sich so wenig auf wie Heidi. Thea hat jetzt an mich geschrieben, und Heidi meinte dazu: Gottseidank, dann brauche ich das nicht. Heidi hat überhaupt anscheinend kein Heimweh. Ich muss mich ja freuen, dass es so ist und dass sie sich nicht unglücklich fühlt. Als Mutter muss man eben früh lernen, sich zu freuen, wenn das Kind glücklich ist, auch wenn man daran selber keinen Teil hat.
Ach, Harald, wären nur wir beide zusammen. Ich hoffe, die Aussicht, in absehbarer Zeit ein Kriegsende zu sehen, wird immer grauer und undurchsichtiger. Gut, dass wenigstens
vorläufig der Urlaub als Punkt im Juni in der Zukunft steht. Aber vielleicht wird sich gerade um diese Zeit etwas tun, wenigstens was die Westfront anbetrifft.
- Jetzt ist der halbe Nachmittag vergangen, und Wesentliches ist nicht passiert. Es ist das Übliche: Radio, Zigarette, Buch und Gemütlichkeit, alles so, dass, wenn man an andere denkt, dankbar dafür zu sein hat. Und doch ist das Herz unruhig und möchte anderes, Lebendigeres, mit Dir erleben. Ich habe mich heute so hübsch gemacht, und für wen? Für die Omis, höchstens für Frau Schubert und Frau Hillenbrand. Zu der letzteren gehe ich heute abend. Sie ist so besonders traurig, sie hat das 'arme Tier', wie sie sagte. Es ist wohl das Frühlingswetter, was uns alle unruhig macht. Aber es ist nutzlos, sich diesen Gefühlen hinzugeben. Darum werde ich gleich irgendeine Arbeit vornehmen. Die Kinder, mit denen ich spazierengehen könnte, sind in alle Winde zerstreut, und ein Spaziergang mit den Omis lockt in seiner Resignation und alternden Ruhe schon gar nicht.
Montag
Eben habe ich mit dem Landratsamt wegen der Freigrenze gesprochen, und Frl. Carthaus erklärte mir, dass die Freigrenze nur mit einer Wirtschaftsbeihilfe berücksichtigt wird. Beim Familienunterhalt wird der ganze Betrag abgezogen. Ich habe ihr erklärt, dass ich in diesem Fall natürlich die ganzen Verwaltungen abgeben würde, denn dann reizte mich der Ärger damit nicht mehr. Worauf Frl. Carthaus zustimmte und meinte, Verwaltungsärger sei auch keine Frau gewachsen. Ich solle alles abgeben, was ich für notwendig hielte, und bekäme dann von ihnen den vollen Satz. Was meinst Du, wärst Du auch für Rechtsanwalt Möller? Die Makler nehmen keine Verwaltungen mehr wegen des Ärgers und kleinen Verdienstes. – (Ich schreibe die drei Fragen mit) Entwerfe mir bitte drei Schreiben (R. Ü. M. Fitschen, Weil. Die anderen behalte ich, damit das Telefon rauskommt. Aber denke Dir etwas aus, damit ich nicht am Ende des Jahres 300.- RM für Engels blechen muß von denen ich nie etwas gehabt habe.
Eben kam Dein erster Brief aus Jever. Erstens ist ein Poststempel drauf und zweitens steht auf dem Feldpoststempel L 00 343. Ich schreibe aber an 52 400 und hoffe, daß es ankommt.
Eine alte Nachttischlampe werden wir wohl finden. Die Kochplatte ist nebenbei 25 Jahre alt und entsetzlich unrentabel. Willst Du sie doch? Sie ist Kohlenklau. Was für ein Bügeleisen soll es sein? Elektrisches haben wir keins. Eins für Gas? Die Karte hatte ich übrigens nicht bekommen. – Die Sachen konnte ich gut gebrauchen, blos die Schere war nicht nötig, desto mehr haben wir uns über die Bornen gefreut.
1000 Grüße und Küsse Din Lött.
Ich gehe heute Abend wahrscheinlich in die Matthäuspassion. Gestern abend habe ich bei Frl. Hauschild Edwin-Fischer-Platten gehört, Fugen und Prläludien von Bach und das erste Tschaikowsky Klavierkonzer, gespielt von Hansen.