Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 16. Mai 1943
den 16.5.43
Liebster Mann!
Heute am Muttertag danke ich Dir recht für Deinen lieben Brief, den ich gestern schon be-kommen habe. Ich habe jetzt Zeit zum Schreiben, die Omis sind in der Kirche und die Kinder in einer Filmaufführung vom tapferen Schneiderlein, Schade, dass es heute, nach drei heißen Tagen, wieder so kalt ist. Wärme wäre für mich heute ein Geschenk gewesen. Überhaupt habe ich heute Lust, irgend etwas Schönes und Unerwartetes zu erleben. Der Tag liegt irgendwie langweilig vor mir. Daß Du nun nicht im Juni kommen kannst! Klagen dürfen wir ja wirklich nicht, aber ich finde auch, es ist höchste Zeit, dass Du mal wieder länger hier bist.
Helga hat mir ein Heft gemalt mit Bildern und Gedichten. Sie war sehr stolz darauf. Die Ge-dichte waren nicht von ihr, sie hat sie nur in
Schönschrift geschrieben und illustriert. Die Gedichte sind sehr schön und wimmeln von Mütterleins, die von früh bis in die Nacht am Herd stehen. Aber Helga war ganz gerührt, trotzdem ich meinte, die Gedichte passen ja besser auf die Omis, die ja das Kochen haben. Gestern schellte es, und ein B.d.M-Mädel brachte mir einen großen Maiglöckchenstrauß, und auf der Straße standen in zwei Gliedern 40 Mädels und brachten mir ein Ständchen als kinderreicher Mutter und dann bekam ich eine Kinokarte von der Partei für morgen. Es ist ja schön, dass die Partei solche Mütterehrung macht, aber mich sollten sie davon ausnehmen. Weißt Du, ich glaube, ich müsste älter sein um mich als Gegenstand der Ehrung am Platze zu fühlen. Irgendwie ist alles zu selbstverständlich, um davon so viel zu machen, und deshalb habe ich bei solchen Sachen ein schlechtes Gewissen. Versteh mich richtig, dass es einen Muttertag gibt ist richtig und dass die Mütter geehrt werden für alles, was sie tun, finde ich richtig und schön, aber „die Mütter“ bin ich nicht.
Hansi hat auch einen sehr lieben Brief geschrieben. Ihr Ernst, der spätestens jeden zweiten Tag
schrieb, hat sich seit dem 3. Mai nichts mehr von sich hören lassen. Nun fängt sie an, sich Gedanken zu machen.
Ach, Pappi, ich weiß nicht viel zu schreiben, ich möchte bei Dir sein. Dann wäre der Tag heute nicht so lang vor mir. Vielleicht gehe ich mit Helga und Klaus spazieren, die Kleinen überlasse ich nun Lisbeth.
Ich lege Dir die Raucherkarte bei. Es gibt wirklich nichts mehr, Biederbick behauptet, er bekommt jetzt nur einmal im Monat Zigaretten. Das glaube ich ja nun nicht. Gestern war ich noch sehr lange bei Fräulein Hunscheidt.
Abends
Vorhin rief Herr Rau aus Köln an und fragte ob er mich aufsuchen könnte. Er kam dann um mir mitzuteilen, dass er gerne hätte, wenn ich die Verwaltung behielt. Er wollte von keinem anderen Verwalter was wissen. Ich habe ihm dann gesagt, warum ich kein Interesse an der Verwaltung mehr hätte und das sah er auch ein. Er meinte aber, als ich ihm Möllers Meinung sagte, Schwarzarbeit sei doch
Erlaubt und ob wir den Vertrag mit Dir nicht in einen mit mir umändern sollten. Oder ob ich Gehalt von ihm beziehen wollte. Ich sagte ihm dass Dein Jahresurlaub bevorstünde und er meinte ob Du dann nicht einen Weg finden und formulieren würdest. Er würde auch gerne jegliche Arbeit, die nicht nötig sei, wegfallen lassen z.B. Briefe usw. Ich könnte dann jeden Monat den Saldo überweisen und fertig wäre die Kiste. – Was meinst Du? Wenn ich ja dieses Geld dann für mich hätte, täte ich es, dann behielte ich auch Weil und mit Salvinis müssten wir einen Weg finden. Ich sehe jetzt einen Weg, die Verwaltungsgelder zu behalten und das lockt mich. Ich möchte gerne bis zum Kriegsende alle unsere Verpflichtungen abgedeckt haben, damit wir glatt stehen. Man weiß ja nicht, was kommt. Halte ich die Verwaltungsgelder übrig kann ich schneller Kassel erledigen, nebenbei Otto und Banthien. Erkundige Dich mal bei den Kameraden, wie es mit dem Nebenverdienst von Frauen ist, denn Möller sagte, wenn ich die Verwaltungen hätte, würde mir nichts abgezogen, die Frauen dürfen verdienen, nur Du darfst nichts verdienen und es war ja nach unseren Erklärungen Dein Einkommen. Du müsstest also die Verwaltungen an mich abgeben. Erkundige Dich mal. Vielleicht rufe ich Dich deswegen an.
1000 liebe Grüße und Küsse
Deine Lotti