Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 28. Mai 1943
den 28.5.43
Liebster Mann!
Heute morgen kam Dein kurzer Brief mit Deinem Vorschlag über Helgas Reise. Aber meinst Du nicht, dass es etwas riskant ist, Helga ausgerechnet jetzt nach Holland zu schicken, jetzt, wo doch alles mit einer Invasion in irgendeiner Ecke rechnet? Das meine ich. Was meinst Du? Ist es nicht überhaupt besser, ich habe meine Küken bei mir? Schon wegen der Luftangriffe?
Dass Du schriebst, an einen Urlaub sei jetzt im Sommer nicht zu denken, nahm ich gefasst hin, denn auf uns und unser persönliches Schicksal kommt es ja immer weniger an. Aber das war nur der erste Augenblick. Immer weniger kann ich mich, je länger der Krieg dauert, an den Gedanken gewöhnen, Du kommst nicht, und es wird mir immer schmerzlicher. Alles in mir hatte sich so auf einen Urlaub im Juni eingestellt. Es wäre mir die größte Geburtstagsfreude gewesen. Nun wird es vielleicht Oktober, ehe wir uns wiedersehen. Wenn ich nicht doch irgendwann im Sommer nach Jever kommen kann. Aber wenn Ihr dort soviel Arbeit habt, kannst Du mich vielleicht garnicht gebrauchen. Aber vor August würde es ja wohl sowieso nicht gehen. Der August ist nämlich der erste Monat, an dem ich weder an die Mu noch an den Familienunterhalt etwas zurückgeben muss, d.h. wenn ich mit dem Familienunterhalt richtig abrechne. Beantworte mir bitte deshalb die Frage: Wie soll ich die Abrechnung am ersten Juli machen? Fitschen ist weg. Soll ich R.u.M. abrechnen, trotzdem Du jetzt nicht kommen kannst und die Verwaltungssache mit der Firma regeln? Oder soll ich nicht abrechnen? Soll Salvini abgerechnet werden? Im ersten Vierteljahr hatte ich es gemacht. Mit dem Finanzamt hatte ich gesprochen wegen der Abgabe der Verwaltung. Kaspers ist einverstanden und sagt, ich solle dann abrechnen und ihnen alles schicken. Nun hatte ich wiederum gedacht, diese Verwaltung möchte ich behalten, bis Du mit Bonn abrechnest bezw. selber übergibst, was zu übergeben ist oder, wenn mit Salvinis eine andere Regelung getroffen wird, selber behalten. Bestünde wegen dieser endgültigen Regelung nicht die Möglichkeit, einen kurzen Arbeitsurlaub irgendwann zu bekommen? Und was soll ich der Firma R.u.M schreiben? Oder willst Du von dort aus schreiben, dass Du keinen Urlaub bekommen kannst damit irgendein Weg gefunden wird, dass ich das Geld am 1. Juli nicht abrechnen brauche.
Hier bekommst du auch einen Brief von Schultzens. Heidi scheint es ja gut zu gehen, und ob sie so bald zurückkommt, bezweifele ich etwas. Und ich habe solche Sehnsucht nach ihr. Andererseits finde ich, dass Heidi gerade auf den Johannes-Müller-Weg gut passt und zu Jochen ganz besonders. Denn Jochen ist lieb und zankt nie. Das hat er von seiner Tante. –
Ab nächster Woche schläft Lisbeth bei uns. Der Pastor wird wohl in Kürze pensioniert werden, und dann kommt ein neuer Pfarrer usw. Ich werde ihr das Balkonzimmer einrichten. Kinderzimmer habe ich ja dann überhaupt nicht mehr, aber augenblicklich ist ja alles Behelfssache, und solange die Luftangriffe sind, ist es besser, die Kinder unten im früheren Wartezimmer schlafen zu lassen. Aber Mansarden und Bettwäsche sind noch Probleme Ich habe sie wohl, d.h., Bettwäsche, aber die letzte Zeit ist sehr viel kaputt gegangen, und neue bekäme ich unter keinen Umständen. Und wenn Heidi zurückkommt, muss sie auch in ein großes Bett, und dann wird es wieder weniger Bettwäsche. Dafür darf der Krieg aber wirklich nicht mehr lange dauern. Dass Lisbeth ganz ins Haus zieht, ist im übrigen ja nur angenehm. Welches Glück, dass ich sie habe.
Gestern habe ich noch zwei Regencapes in der Art wie meins für Heidi und Ursel gekauft. Das für Ursel ist aus elfenbeinfarbener Seide, entzückend, aber für den Deubel vielleicht nicht das Richtige. Aber die Regenhäute wollte ich für die Kinder nicht, sie gehen zu schnell kaputt. Überhaupt sind die Kinder, was Kleidung betrifft, augenblicklich ganz reizend angezogen, und sie haben reichlich davon. Das kommt, weil ich ihnen allerlei angeschafft habe und dann kamen hinterher von Wolffs und von Schultzens große Pakete mit wunderschönen Sachen. Jetzt soll ich auch noch von Wolffs Anzüge für Klaus bekommen. Es macht mir Spaß, die Kinder immer wieder neu anzuziehen wie Ausschneidepuppen. Ach, meine lieben, lieben Kinderchen.
Und mein lieber, lieber Mann. Wie soll ich Dir zeigen, dass ich Dich lieb habe. Aber jedes Mal, wenn ich irgend etwas abbezahle, denke ich, dass es Dir, wenn Du es weißt, so gut wie ein Liebesgabenpaket ist, andererseits denke ich oft, ich möchte Dir einen kleinen Zuschuss monatlich zu Deiner Löhnung geben, damit Du etwas besser leben kannst.
den 29.Mai 43
Gestern abend bin ich nun unterbrochen worden. Heute kam Dein kurzer Brief mit der Empfehlung des Buches. Es ist in der Bibliothek bei……..