Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 30. Mai 1943
den 30.5.43
Liebster, mein allerliebster Mann!
Heute am Sonntagabend bin ich ganz allein in der Wohnung. Die Omis sind ausgegangen. Ich habe bis jetzt auf der Couch gesessen, genäht und dann, als es dunkler wurde, nachgedacht, und dieser Brief soll nichts weiter als Dir sagen, wie glücklich ich hier mit Dir, den Kindern und meinem Heim bin. Daß ich so für die Familie im Kleinen und Großen arbeiten kann, ist so beglückend, dass ich vorhin dachte, das muß ich Dir eben schreiben. Weiter nichts. Immer nur das eine, dass ich so glücklich in dieser Lebensaufgabe bin. Für morgen habe ich schon wieder ein ganzes Programm vor. Wenn Du doch blos hier wärst.
Jürgen ist schon gestern mit Lisbeth nach Hause gereist. Lisbeth rief heute morgen schon an und erzählte, dass er in seinem Bettchen bis zum Einschlafen gesungen habe. Dann muss er ja sehr einverstanden gewesen sein mit dem, was er dort vorfand.
Und dann wollte sie nur fragen, ob in der Nacht etwas passiert ist. Wir hatten heute Nacht eine sehr tolle Schießerei und unentwegtes tiefes Brummen der Bomber gehabt. - Vielleicht liebe ich auch jeden Gegenstand in meinen Zimmern deshalb so zärtlich, weil alles einem jeden Augenblick genommen werden kann, und wenn das der
Fall sein sollte, so habe ich alles so bewusst genossen, dass es als geistiger Besitz unverlierbar geworden ist. -
Heute nachmittag war ich bei Frau Hillenbrand im Garten mit den Kindern, nachdem Frau Hillenbrand zuerst bei uns zu Tisch war. Sie findet den Halt auch nur in dem Gedanken, dass sie sich bemüht, so zu sein, dass ihr Mann ja dazu sagen kann und dass sie ihm Freude machen würde, wenn er da wäre. Genau so geht es mir ja auch. Ich lebe hier auch immer so, als wenn Du bei mir bist und mir zusiehst. Das fängt morgens mit dem Anziehen schon an. Und dann denke ich so oft, dass es Dir ein Gedanke zum Ausruhen ist, zu wissen, die Räume und sie sind immer so, wie Du es liebst.
Die Kinder sind ja süß. Heute waren alle so glücklich in Frau Hillenbrands Garten. Wir haben zum Schluss beide Blindekuh mitgespielt, nachdem wir zuerst alle auf dem Rasen Kaffee getrunken hatten. Aber das Barometer fällt schon wieder.
den 1.6.43
Nun bin ich im Geburtstagsmonat drin, und so blöd es ist, ich gerate in die gewohnte Geburtstagsstimmung, trotzdem dieses Jahr wirklich kein Anlass dazu vorhanden ist. Voriges Jahr warst Du wenigstens da. Ach, Liebster! Wenn nur unsere Wohnung erhalten bleibt, das wiegt alle Geburtstags -und Weihnachtstische der Zukunft auf.
Morgen schreibe ich weiter. Es ist 11 Uhr, und ich bin müde nach einem Abendspaziergang mit Fräulein Hunscheidt am Rhein und einem Zuteilungsschnaps, den ich mir eben genehmigt habe.
Din Lött