Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 3. Juni 1943
den 3.6.43
Liebster Mann!
Die Enttäuschung muss ja überwunden werden, aber sie fiel wie ein Stein in meine Seele. Ich habe sofort irgendwas gearbeitet, damit ich mich nicht erst hinsetzte und den ganzen Jammer spürte. Ich sagte mir denn auch vor, dass es schlimmere Dinge gäbe, die in diesem Krieg überwunden werden müssen und dass dies doch eigentlich überhaupt nicht zu werten sei, gemessen an der nutzlosen Sehnsucht und dem Warten, wie es von nun an Frau Hillenbrand und Ilse Düren beschieden ist. Aber trotzdem ist der Klumpen in der Seele, und der liegt nur erstmal da. Mein Geburtstag ist mir jetzt gleichgültig geworden, und nur die Kinder freuen sich darauf wegen des Kuchens, den ich backen werde. Kalt ist es komischerweise hier auch geworden, so dass ich an meinem Geburtstag wohl noch nicht einmal in der Sonne sitzen kann. Das wäre wenigstens ein kleines Geschenk gewesen.
Ich glaube, ich habe es geahnt und gespürt, dass Dir das Urlaubsgesuch schiefgegangen ist. Denn nachdem ich, das hattest Du ja am letzten Brief gemerkt, so froh war, schlug diese Stimmung vorgestern in das Gegenteil um und wurde immer schlechter. Ich freute mich auf nichts mehr und hatte eine durchaus nutzlose Sehnsucht nach Dir, die mich bis in die prosaischsten Hausarbeiten verfolgte, so dass ich mich fragte, ob ich eine Hausfrau mit fünf Kindern sei oder ein junges Ding, das nichts im Kopf hat als Liebe und was dazugehört. Und heute nacht habe ich schlaflos gelegen, und ängstigte mich vor der Zukunft und was sie wohl an Veränderungen in unserem persönlichen Kreis bringen würde. Ich meine dabei die Aussichten, die sich für unsere Existenz bieten. Man weiss ja nicht, wo alles hinausläuft. Und immer wieder überfällt einen der Gedanke, dass doch noch die letzten von den sogenannten schönen Jahren weglaufen und man steht da mit leeren Händen und sie laufen an einem vorbei und sind fort für immer. Und dabei kommt man sich schäbig vor, dass man für sich persönlich etwas wünscht und dass man nicht immer wieder dankbar erkennt, was einem noch im Gegensatz zu vielen anderen geblieben ist.
Weißt Du, ich werde mir wenigsten das eine schenken, dass ich Dich am Geburtstagsmorgen anrufe. So ist dann doch wenigstens eine ganz kleine Erwartung auf diesen Tag da.
Aber ich habe wirklich Sehnsucht nach Jever. Ich könnte viele Stellen aus der Erinnerung malen. Ich möchte es schon möglich machen, anschließend an die Berliner Reise zu Hansis Hochzeit nach dort zu kommen, aber vorläufig weiß ich nicht mal, wie ich die Berliner Reise finanzieren soll. Mit so einer Hochzeit hängt doch immer allerlei an - Anschaffungen kann man ja heute nicht mehr sagen - zusammen. Ich möchte auch von Berlin aus nach Stettin fahren, um Heidi zu besuchen oder sie mitzunehmen.
Was nun aus Mutters Reise wird, weiß ich nicht. Zum Geburtstag von Tante Lina fährt sie nicht, weil sie böse ist, dass Tante Lina ihr nicht schnell genug wiedergeschrieben hat. Nun macht sie andere Pläne, aber verrennt sich natürlich hauptsächlich in den Gedanken, dass sie natürlich nicht fahren kann, weil wir nach Berlin fahren. Irgendwie tut ihr das gut, mal wieder überall hinten runterzufallen und nichts zu haben. Aber die Laune ist dementsprechend. Am besten führe sie jetzt sofort, aber drängen darf man sie auch nicht, und wenn man es nicht tut, kommt sie den ganzen Sommer wieder zu nichts. - Oder wäre es möglich, dass sie dich dort besuchte? Ist es zu empfehlen oder sind die Angriffe zu stark? Lisbeth könnte ganz gut mit den Kindern acht Tage allein wirtschaften. Zum Schlafen käme dann Frau Hillenbrand ins Haus, damit sie nachts mit den Kindern nicht allein ist. Ich mache jetzt Schluss, denn sonst würde wieder das Thema mit dem nichtseinsollenden Urlaub anfangen . Ich hatte mich ja genau so darauf gefreut wie Du und mir auch heimlich gedacht, dass es zum Geburtstag klappen würde. Wie glücklich wäre ich gewesen.
Din Lött