Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 9. Juni 1943
den 9.6.43
Liebster Mann,
es will überhaupt nicht aufhören zu regnen. Und immer wieder, wenn ich an das Barometer klopfe, geht es rückwärts. Es ist schlimm für die Kirschen und die Erdbeeren, die jetzt reif werden, aber wir werden sowieso nicht viel davon sehen. Dafür kriegen wir jetzt Trockenpflaumen zugeteilt. Biederbick seine, bei dem ich eingetragen bin, kosten 2,50, im Frieden 40 Pfennige. Da fängt man an zu zweifeln, ob man die nehmen soll.
Weißt Du, wenigstens Pfingsten in der Sonne sitzen und dazu eine Zigarette rauchen, das wäre noch wenigstens eine Aussicht. Ich habe mich doll über das Päckchen Zigaretten gefreut, ohne dass ich gerade eine Raucherin geworden wäre. Aber die Zigarette nach Tisch und abends bringt einem ein klein wenig etwas von einer ganz bestimmten Behaglichkeit, die an Frieden erinnert.
Deine Wäsche haben wir heute gewaschen. Ich habe sofort große Wäsche mitgemacht und einen großen Waschkessel voll gekocht. Es war richtiger Waschtag, und ich habe nicht geduldet, dass Omi Endemann dabei war, nachdem sie mich gestern bei Tante Mathilde madig gemacht hatte, als wenn ich mir zu gut vorkomme, große Wäsche zu waschen. Aber die Angst hättest Du erleben sollen, mit der sie dann heimlich immer um die Waschküche strich, denn ich kann doch nicht waschen, denn woher sollte ich es auch können. Es ist wie beim Einmachen, wenn man sich die Grundregeln sagt und sich klar darüber wird, warum und wieso, geht es, ohne dass nun eine Zeremonie daraus gemacht wird.
Aber deshalb werde ich doch die große Wäsche weiter ausgeben. Mutter sieht die Unterschiede zwischen ihrem Haushalt und meinem, die es dort erlaubten und hier verbieten, nicht ein. Und auch den Unterschied in Lebensstil und Haushaltsführung nicht, dem wir beide huldigen. Deswegen würde ich mich aber keinen Augenblick besinnen, auch diese Arbeit zu machen, wenn es sein müsste, weil z.B. die Wäschereien nichts mehr annehmen oder aus irgendeinem anderen Grund. Am bittersten war, glaube ich, dass nichts zu beanstanden war und dass wir sogar Deine Wäsche in Ordnung gekriegt haben.
Es wird überhaupt Zeit, dass Omi Endemann verreist. Die letzten Wochen ist es nicht zum Aushalten mit ihrer schlechten Laune. Soll man nun parieren oder alles einstecken? Wir tun das letztere, und nichts wird dadurch besser. Ich weiß ja, dass es ihre Nerven sind, aber heute sagte sie zu Lisbeth, die kreuzunglücklich war, sie wüsste, dass sie manchmal unausstehlich wäre, aber sie könne nichts dagegen tun, es sei nun mal ihre Natur. Gut, wenigstens diese Erkenntnis ist da.
- Ach, Pappi, jetzt muss ich auf der anderen Seite wieder vernünftig schreiben, aber die letzte Zeit habe ich zu viel schlucken müssen.
Dafür jetzt von unseren Süßen. Vorgestern schrie Lisbeth, als sie nochmal ins Kinderzimmer gegangen war, auf. Da hatte Ursel ein Näpfchen Wasserfarbe mit ins Bett genommen und mit Spucke Gesicht, Hände, ihr Bett, Klausens Bett und alles mögliche bemalt. Und Klaus saß schluchzend in seinem Bett und wiederholte immer wieder: "Und mein Hinterteil, das so schön blank ist, hat sie auch angemalt" — und meinte damit das Fußende seines Bettes.
Die tiefe Niedergeschlagenheit bei mir ist weg, aber immer ist noch eine Ungeduld da, die die Zeit beschleunigen möchte, bis wir wieder zusammen sind. Irgendwie stockt alles, so dass man nicht richtig weiß, wo es hinausläuft, die viel zitierte 'Stille vor dem Sturm' ist das wohl. Aber nach Jever möchte ich. Aber wenn Du bis zehn Uhr Dienst hast, würde sich das nicht lohnen.
Wann nun Hansis Hochzeit ist, weiß ich auch nicht, unter Umständen wird sie wohl erst im September stattfinden. Zwei Reisen sind aber wiederum ein bisschen viel. Was macht man da, Pappi? Höchstwahrscheinlich bei den Träumen bleiben. Ich bin immer noch nicht über die Enttäuschung weg, das merke ich an dem Hin und Her der Stimmungen oder vielmehr der Stimmungslosigkeit, die ich habe. Es fehlt ein Punkt, um den sich das Leben augenblicklich herumbaut. In das gewohnte Fahrwasser bin ich noch nicht wieder gekommen.
Hat Frau Lichtschlag ihr Kleines? Frau Rogler hat's.
Ach Liebster, sehr schön ist dieser Brief ja nicht geraten, aber besser der wie keiner, denkst Du vielleicht. Wenigstens ging es mir auch mit dem Geburtstagsbrief so und ausserdem sollen wir uns doch so schreiben, wie uns ums Herz ist, dazu sind wir ja Mann und Frau.
Schultzens gratulierten mir auch zum Geburtstag. Schwager Hans wünschte mir viele Harald-Urlaube und wenig Graupensuppe. (Wir kriegen ja Fleisch abgezogen und dafür Graupen auf Fleischkarte zugeteilt.) Thea schilderte mit glühenden Farben die vielen Vorteile, wegen denen Heidi noch bei ihnen bleiben müsste; gutes Essen, Vorwärtskommen in der Schule, die gute Luft, meine Entlastung usw. Hans schrieb dazu: Thea in ihrer angeborenen Bescheidenheit hat natürlich die Hauptsache vergessen, solange Heidi bei uns ist, braucht sie nach menschlichem Ermessen nicht in die Fabrik. Und wie soll meine zarte, kleine Frau das auch aushalten?
Gute Nacht. Das Radio spielt Blödsinn, da es ja doch nur …… ist.
Kuss, Din Lött