Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 19. Juni 1943
den 19.6.43
Liebster Mann!
Eben habe ich den Brief an Hansi geschrieben, der mir sehr auf der Seele lag und nun sollst Du einen bekommen, damit Du nicht wieder so lange warten musst. Ich habe aber doch den Eindruck, als wenn Post von mir verlorengegangen ist. Oder hast Du z.B. den Brief mit der Einlage vom 21.5. doch bekommen? Viel geht ja auch im Ruhrgebiet verloren.
Weißt Du, was ich schon mal dachte? Ich könnte mich unter Möckels Fittiche begeben. Aber deswegen komme ich doch nicht schneller nach Jever. Die Idee, Dich vom Hauptmann Rech nach S. nachziehen zu lassen, hast Du ja wohl schon wieder aufgegeben. Was willst Du da? Du kannst auch dort nur Schreiber sein, ob die Leute dort netter sind, ist eine Frage, und im übrigen können Dir allerlei unvermutete Schicksale blühen, denn ob wir das behalten, ist noch die Frage. Wenn Du Dich zu irgendeiner Stelle melden würdest, an der Du meintest, nützlicher wirken zu können, würde ich Dir nicht abraten, denke an unser Gespräch damals in Husum, aber in diesem Falle würdest Du Dich an eine gefährlichere Stelle melden, ohne von Dir aus etwas Entscheidendes leisten zu können. Abraten will ich Dir aber auch nicht, denn wer kann heute schon wissen, wo man am sichersten ist. Das wäre Unsinn. Bloß für m i c h ist Jever eben gefühlsmäßig näher.
Ich habe vorhin meine letzte Zigarette geraucht. Montag werden nun die neuen Raucherkarten ausgegeben. Soll ich Dir die neue schicken?
Morgen wollen Lisbeth und ich nach Zissendorf, um Obst und Gemüse zu holen. Hier ist augenblicklich die übliche Mangelperiode. Helga nehme ich mit.
Und sonst weiß ich nichts als das übliche alte Lied: Ich möchte, dass Du jetzt hier wärest. Unser Zimmer ist heute abend so friedlich. Die letzten Abendsonnenstrahlen scheinen ins Biedermeierzimmer, so dass Wand und Sofa in kräftigen Farben leuchten. Eben schlägt es neun. Gleich wird dann gebadet, noch etwas gelesen und dann hoffentlich! wunderschön geschlafen.
Die Rankpflanze an unserem Balkon wuchert kräftig. Wir müssten noch eine in der Mitte des Balkons haben, dann wäre er schön fest zugewachsen. Trotzdem sitzen wir aber schon, wenn wir können, d.h., wenn es nicht regnet, und das war ja leider Gottes die letzten Wochen fast jeden Tag der Fall, draußen. Mit der Rabatte ist außer den dekorativen Schwertlilien nichts los. Eben holt Studienrat Marx aus dem Forsthaus seine Schäflein zusammen.
Ich werde das Badewasser heißmachen und habe noch etwas herrlich riechendes Badesalz, das tue ich hinein. Ich will richtig unterstreichen,
dass Samstag ist und für mich gleich der gemütliche Teil des Tages anfängt. Ich habe mir einen richtige Leseroman geholt, nicht zu dumm, dann ärgert man sich bloß, aber doch wieder gerade so, wie man ihn vor dem Einschlafen lesen kann.
Ach Harald, wie schön könnte unser Leben sein. Drei Jahre sind wir nun schon getrennt und hoffentlich haben wir damit den größten Teil der Trennung hinter uns. Montag muss übrigens auch Dr. Kops weg. Immerhin hat er vier Jahre von diesem Krieg gespart. - Ich habe Deine Fotografie jetzt gerahmt auf meinem Nachttisch stehen. Jeden Abend gucke ich dahin, ehe ich das Licht ausknipse, aber es ist alles doch nur Ersatz,
Din Lött