Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 14. Juli 1943

Godesberg, den 14.7.43

Liebster Mann!

Ich bin heute abend glücklich angekommen, und trotzdem ich sehr müde bin, habe ich noch das Bedürfnis, Dir zu schreiben. Ach, lieber, lieber Mann, dass wir uns trennen mussten. Und all das Schöne, das wir zusammen gehabt haben, ist augenblicklich versunken und vergessen über all dem Grauenhaften, das ich in Köln gesehen habe.

Köln ist so über alles vorstellbare Maß zerstört, dass ich das Grauen nicht loswerde, und dazu kommt jetzt die Angst, hier im Rheinland bleiben zu müssen. Ich will mit den Kindern weg.

Der Zug ging, von Opladen aus allerdings nur rückwärts, bis Köln-Deutz. Dort war ein Riesendurcheinander, aber mehrere Leute, darunter ich, fanden eine Taxe, die uns bis Köln-Süd fuhr, von dort aus ist Pendelverkehr nach Kalscheuren, und von dort aus geht dann der Zug bis nach Godesberg. Auf der Taxifahrt habe ich dann ein gutes Stück gesehen. Es gibt wohl kaum noch ein Haus in Köln, das, wenn nicht zerstört, bis auf die Grundmauern abgebrannt ist. Unter Sachsenhausen sind alle riesigen Gebäude wie Hauptpost, Reichsbank, Handelskammer usw. völlig und ohne die kleinste Einschränkung zerstört. Aber was soll ich Dir noch schildern? Man kann es nicht. Die Züge wimmeln von Obdachlosen, die Straßen sind voll von Leuten, die das Letzte geretteter Habe wegfahren oder wegtragen. Alles fährt abends raus nach Niederbreisig und hoch ins Bergische und in die Eifel, weil keine Möglichkeit besteht, in Köln zu wohnen. ---

Wann kommt wohl Bonn und wir dran? Unter allen Umständen will ich die Kinder wegtun und nach Möglichkeit überhaupt weg. Möbeltransporte werden ja sofort gestellt. In Godesberg werden täglich 25.000 Butterbrote für Köln geschmiert, die Kleiderkarten sind gesperrt, so dass man nicht mehr Nähgarn kaufen kann, und telefonieren kann ich auch nicht mehr, laut beiliegender

Karte.

Kannst Du nicht Deinen demnächstigen Urlaub beantragen, wegen Evakuierungsvorbereitungen für die Familie. Denn ich glaube, es ist besser, dass sich rettet, wer kann. Ich glaube, hier wird völliges Kriegsgebiet, und deshalb wird auch das Wegwollen, auch aus Godesberg, nach Möglichkeit erleichtert.

Ich möchte so gerne etwas anderes schreiben, aber ich stehe so vollständig unter dem Bann des Geschehens, dass ich heute abend wohl nur so aus dem Bett fliegen werde, wenn die Sirene kommt.

Die Kinder habe ich munter und fröhlich angetroffen. Sie waren außer sich vor Freude, als ich kam.

Lieber, lieber, liebster Mann! Lass uns aneinander denken und uns lieb haben. Ich glaube, das Bewusstsein hiervon werde ich in Zukunft noch brauchen müssen. Ich habe solche Sehnsucht nach Dir und liebe jetzt sogar die Mückenstiche auf meiner Hand, weil sie aus Jever sind. Heute Nacht ziehe ich auch kein neues Nachthemd an, sondern nehme nochmal das alte aus dem Koffer, ich habe sonst zu großes Heimweh.

Und jetzt stehe ich in Gedanken vor dem Barakenfenster und sehe Dich hinten in dem Zimmer sitzen. Ich werde heute abend, und auch heute nacht, wenn ich wach bin, an Dich denken, mit viel Liebe und viel Zärtlichkeit.

Wenn ich doch bloß das Grauenhafte loswerden konnte. Man kann nicht wiedergeben, was aus dieser Stadt geworden ist.

Telefonverbindungen wird es wohl so bald nicht wieder geben, sonst hätten sie es nicht zu drucken brauchen.

Lieber, liebster Harald, bitte schreibe sofort, ob Du diesen Brief bekommen

hast und schreibe auch, wie lange er gebraucht hat. Soll ich an Schultzens, Berta Hechtle, Tante Klara und Frau Linde schreiben, ob eventuelle Unterkunftsmöglichkeiten bestehen? Ich schreibe auch Hans sofort, er möge noch ein zweites Kind nehmen. Wenn Platz für uns alle dort wäre, würde ich Thea tüchtig helfen. Es ist zu grauenhaft.

Viele liebe Küsse. Deine Lotti.

Wenn Du Thea das Bild schickst, schicke ihr bitte auch die Karte vom Fernsprechamt und bitte sie, uns anzurufen. Ich schreibe auch an sie, aber ich weiß ja nicht, ob es ankommt. Wir sind hier wie im Kriegsgebiet. Das Bild hat sich doch in den drei Wochen sehr geändert.