Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 15. Juli 1943
den 15.7.43
Liebster Mann!
Ich hatte Dir gestern abend, nach meiner Ankunft, noch zwei Briefe geschrieben, da ich aber nicht weiß, ob die ankommen, schicke ich diesen Brief an Tante Klara in Metzingen ab, damit sie ihn weiterleitet, denn die Strecke nach Süddeutschland ist noch vorläufig so, dass Post weggehen kann. Ich hatte Dir viel geschrieben, aber nun wiederhole ich nur das Wesentliche, (wobei das andere wirklich nicht unwesentlich ist, damit Bescheid weißt).
Köln ist unvorstellbar kaputt und unbewohnbar geworden. Ich musste von Opladen bis Kalscheuren sehen, wie ich weiterkam. Da ich aber in Köln-Deutz Gottseidank mit mehreren eine Taxe bekam, die mich nach Köln-Süd brachte, bin ich durch Köln gefahren und muss sagen, es übertrifft alle Erwartungen. Alles, was Du Dir denken kannst, ist bis auf die Grundmauern abgebrannt, selbst die riesigsten Hotels und Banken. Ein Kind habe ich überhaupt nicht gesehen, nur Leute, die eilig liefen oder Kram wegbrachten. In Kalscheuren Himmel und Menschen, die alle zum Schlafen rheinaufwärts fuhren. In Köln können die nicht mehr schlafen, auch wenn sie wollten.
Auf dem Bahnhof konnte man Bier trinken, und das wurde reichlich ausgenutzt. Ein 15jähriges BdM-Mädchen verkaufte es. Vorhanden waren zwei Gläser, eine Rotkreuz-Emailletasse, eine Tasse mit, eine ohne Henkel und eine Blumenvase. Daneben stand eine Waschschüssel mit brauner Flüssigkeit, in der die Trinkgelegenheiten aber eben nur einge-taucht wurden, um dann sofort wieder an den Nächsten ausgegeben zu werden. Das Spülwasser war von den Bierresten so braun. Daneben war eine Rotkreuzschwester mit Essensausgabe beschäftigt, vier Teller und Löffel, die nur abgespült und unabgetrocknet vom dreckigsten Mann zur feinsten Dame wanderten, und alle aßen.
Mit einer Postverbindung ist wohl nicht zu rechnen. Es ist ja jetzt nicht mehr so wie früher, dass eine Verbindung hergestellt wird, es ist sozusagen aus. Ich habe Dir eine Drucksache der Post beigelegt gehabt, in der mitgeteilt wird, dass bis auf Widerruf mein Telefonanschluss gesperrt wird und nur noch Ortsgespräche
geführt werden können. Ferngespräche werden nur noch bei Fliegergeschädigten vermittelt, und dann bei einer öffentlichen Fernsprechstelle. Da diese Maßnahme gedruckt in die Häuser gesandt wurde, ist wohl mit einet Wiederaufnahme nicht mehr zu rechnen.
Das Bild hier hat sich in den drei Wochen unglaublich verwandelt. Ich denke jetzt ernstlich an eine Evakuierung. Könntest Du einen Urlaub mit dieser Angelegenheit beantragen? Herr Schwinger sprach mir gegenüber die Ansicht aus, die ich bei Dir äußerte: Zerstörung aller Verbindungen und dann Landung. Die Bombardierungen finden in einem Ausmaße statt, die alles übertreffen.
Bitte, danke Carels noch einmal herzlich in meinen Namen und bitte sie, nicht böse zu sein, dass ich nicht schreibe. Es hat keinen Zweck. Dich möchte ich bitten, einen Brief an mich, in dem Du alles Wesentliche, was Du meinst, was getan werden soll, zusammenfasst und an Tante Klara in Metzingen leitest, in der Hoffnung, dass bis dahin nicht auch die Strecken nach Süddeutschland blockiert sind. Mache vielleicht einen Durchschlag davon und schicke einen an mich direkt. Vielleicht bekommte ich dann einen von Beiden.
Du kannst Dir keinen Begriff von Köln und Wuppertal machen, wenn Du es nicht gesehen hast, aber tröste Dich auch nicht mehr mit dem Gedanken, in einigen Tagen sei die Postbehinderung behoben, es hat keinen Zweck. Wie es hier aussieht, scheint es, als sei das so langsam die endgültige Lösung.
Harald, wie froh, bin ich, dass wir unsere schöne Zeit gehabt haben. Ich werde immer dankbar dafür sein. Was die Zukunft bringen wird, weiß ich nicht.
Bitte, wenn Du einen Brief schreibst, schreibe alles darin, von dem Du meinst, es könne wichtig für mich sein, damit ich ihn bei mir behalte. Ich weiß nicht, wie in Zukunft unser Briefwechsel sein wird. - Bitte, schreibe sofort, wenn Du meinen Brief hast.
10000 liebe und herzliche Küsse, Deine Lotti