Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 18. Juli 1943
den 18.7.43
Lieber, liebster Mann!
Ich will ins Bett gehen, tue es aber nicht, ehe ich Dir noch ein paar Worte geschrieben habe, wenn es auch nicht viel Wichtiges sein wird, was da so zu Tage gefördert wird. Aber ich will vor dem Einschlafen noch mal bei Dir gewesen sein.
Heute schriebst Du, dass Du vielleicht nun doch nach Stade kommst. Aber Jever wird für uns doch immer eine besondere Stadt bleiben, nicht? Deine Post läuft jetzt schön schnell, wie früher, deshalb hoffe ich auch, dass Du morgen den ersten Brief von mir hast, Frau Hillenbrands Schwägerin sagte heute, dass in Köln noch 50.000 Stück Post liegen, die nach und nach aufgearbeitet werden. Sie ist ja Postbeamtin. Da wird dann bis Weihnachten auch meine Post zum Vorschein kommen.
Hier gibt es im kleinsten und größten Kreis nur noch ein Thema: Bleiben oder weggehen, ist Godesberg gesichert, oder kommen wir auch dran? Dieses und die Geschehnisse in den Großstädten selbst wird während des Zusammenseins erörtert. Viele räumen alles in den Keller und behelfen sich mit dem primitivsten Geschirr, aber ein Leben nur aus dem Koffer ist ja auch kein richtiger Zustand, und das kann man das vielleicht für Wochen machen, aber nicht für Monate. Außerdem habe ich im Keller auch nicht so viel Platz, um die gesamte Haus-Tisch-und Leibwäsche unterzubringen und auch davon wieder nicht soviel, dass ich einen Teil gebrauche und den anderen verstaue. Ebenso ist es mit der Kinderwäsche.
Frau Krug stellt jede Nacht um 12 Uhr ihren Wecker, zieht dann ihre sechs Kinder an und geht mit ihnen in den 15 Minuten entfernten Bunker, setzt sich dort mit ihnen hin bis zur Entwarnung oder, wenn kein Alarm war, bis drei Uhr morgens. Ich überlege, ob ich mit den Kindern in die Berufsschule oder ins Päda gehen soll, wenn die Sirene tönt. Aber seitdem ich gesehen habe, dass in Köln riesige Bauten stabilsten Maßes zu Müll geworden sind, graut mir bei dem Gedanken, vielleicht darunter verschüttet zu werden.
Ich kam überhaupt aus Köln mit dem Gefühl zurück, bloß nicht bei Alarm
in den Keller, so viel Schutt habe ich da aufgehäuft gesehen. Ich glaube, am besten ist ein Erdgraben am Adolf-Hitlerplatz, aber bis dahin kann man auch nicht laufen, wenn es brenzlig wird. Jetzt wird auch in Godesberg gefragt (d.h., bei uns ist die N.S.V. noch nicht gewesen, aber sie wird noch kommen), ob Familien mit Kindern sich verschicken lassen wollen. Die Entscheidung ist so schwer. Unser Haus wird dann belegt, und wer weiß, wann man nach dem Krieg wieder einziehen kann. Für die Stadt Köln ist das Ausweichgebiet Niederschlesien. geworden. Aber ein Teil ist schon wieder zurückgekommen, sitzt am Tag vor seinen Trümmern auf den Koffern und geht abends in die Bunker. Der Kölner will nun mal nicht von seiner Stadt lassen, selbst unter den kaum lebensfähigen Bedingungen, die er nun hat. Ich weiß wahrhaftig nicht, was man tun soll. Aber akut ist die Frage hier im Westen schon.
Die Kinder sind mit Ausnahme von Jürgen den Tag über im Strandbad und sehen prächtig aus. Jürgen stand heute im Bett und erklärte kategorisch: "Mutti, Wasser oder ich schieße." - Der neue Schwager hat mir in meiner Abwesenheit herrliche rote Rosen durch einen Matrosen schicken lassen. Gesehen habe ich sie leider nicht mehr. Aber Du weißt, dass bei Jürgen jeder Marineoffizier "meine seine Onkel“ ist. Nun holten ihn die Omis ins Zimmer, als der Matrose da war, und sagten: "Da drin ist Dein Onkel." Jürgen geht, sieht den einfachen Matrosen und sagt mit einer wegwerfenden Handbewegung "Helga seine Onkel“ und geht wieder. Er macht also doch Unterschiede und ist fürs Feine.
Alle sagen mir, ich sähe zehn Jahre jünger aus. Ist das nun, weil ich so viel geschlafen hatte oder ist das Zarah Leanders Weisheit: 'Eine Frau wird erst schön durch die Liebe?' Beides wird es wohl sein. Ach, Du lieber, Mann, Du, ich hab Dich lieb.
Weil es aber nun 11 Uhr geworden ist, mache ich Schluss. Viele, viele liebe Küsse,
Deine Lotti
Morgen schreibe ich an Carels. Ich bin gespannt, ob aus der Berliner Reise was wird. Sollte die Trauung am 1. sein, so könntest Du vielleicht doch zum Wochenende nach Berlin kommen. Von Hamburg aus ist das doch nicht schlimm.