Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 19. Juli 1943
den 19.7.43
Liebster Mann!
Es ist so gemütlich am Schreibtisch mit der kleinen Lampe. Wo die Omis geblieben sind, weiß ich nicht, und die halbe Stunde, die jetzt so schön still vor mir liegt bis zum 10-Uhr-Nachrichtendienst, passt so schön für einen Brief.
Ob Du meine bisher geschriebenen bekommen hast? Heute vor acht Tagen saßen wir noch im Marianne-Hoppe-Film, und hinterher im Cafe Rohrdum. Du glaubst nicht, wie oft ich Dich in Gedanken besuche. Ist Wirr zurück? Und hat die Hochzeit günstig auf ihn gewirkt? Ich wollte heute bei Linz nach dem Dichter Gerd Gaiser fragen und sah völlig zufällig im Schaufenster ein Buch von ihm liegen, bei Albert Langen in München erschienen. Es sind Gedichte, und es ist betitelt: Reiter am Himmel. (Sind das Flieger?) Das kommt mir im Augenblick, denn ich habe mir die ganze Zeit den Kopf zerbrochen, was damit wohl gemeint sein könnte. Ich habe es sofort gekauft, und da das Fenster zufällig morgen ausgeräumt wird, kriege ich es morgen. Und dann tippe ich Dir vielleicht Kostproben von Deinem Vorgesetzten.
Ende der Woche kommt wohl auch Wilhelm Lichtschlag wieder. Ob Du dann noch in Jever bist? Ich bin so froh, dass ich diese Zeit und diese Erinnerung habe in meinen Leben, denn Erinnerungen schaffen ist doch jetzt alles im Leben. Dieses Haus und diese Wohnung, so gern ich sie habe, kommt mir, und den anderen geht´s auch so, gar nicht mehr als uns gehörend vor. Sie kann uns ja in einer Nacht genommen werden. Hier fangen die Leute auch an, sich Bunker in den Gärten zu buddeln. Irgendwie hat man Hemmungen vor Kellern, und ich habe sie nach Köln besonders bekommen. Ich sprach mit Frau Seifert von der N.S.V. Wenn ich mich evakuieren lasse, komme ich nach Niederschlesien in irgendeine Gastfamilie. Ob man dann doch nicht besser hierbleibt? Ich kann allerdings auch versuchen, bei Verwandten unterzukommen, aber wer nimmt mich mit so vielen Kindern? Dann wird mir die Reise bezahlt.
Heute traf ich Marianne Kleutgen. Sie hat augenblicklich Urlaub und ist zu Hause, weil sie in
Düsseldorf immer noch nicht Strom und Gas hat und daher auch nicht kochen kann. Sie fährt wöchentlich einmal nach Düsseldorf, um nach der Wohnung und ihrem Mann zu sehen und braucht zur Hinfahrt 5 Stunden, mindestens und jedes Mal wieder anders, mal linksrheinisch, mal rechtsrheinisch, mal mit Schiff, mal mit Autobus oder kombiniert, je nachdem. llse, ihre Schwester, sucht in Süddeutschland eine Wohnung, weil sie ja auch in Elberfeld in der halbzerstörten Wohnung ohne Gas und Licht nicht bleiben kann.
Es ist schade, dass meine Briefe augenblicklich so viel von diesen Dingen handeln, aber es ist hier im Rheinland sozusagen eine Lebensfrage geworden und d a s Gesprächsthema. Wie das das ganze Leben beeinflusst, kann man sich auch nur vorstellen, wenn man hier in der gefährdeten Ecke lebt.
Eben habe ich eine kleine Fliege aus meinem Bier gefischt und sie auf meine Schreibmappe gesetzt. Nun ist die Arme betrunken, stellt sich immer ganz strack auf die Beine und knickt wieder zusammen, und nun läuft sie seitwärts. Soll sie sich doch hinlegen und schlafen.
An Carels habe ich auch geschrieben. Ich wünsche, ich könnte die drei Wochen noch einmal haben. Aber ich meine auch, dass Du Deinen Urlaub nehmen sollst, wenn Du ihn kriegen kannst. Man kann wirklich nicht mehr ins nächste Jahr sehen. Jetzt bin ich bloß mal gespannt, ob ich zu Hansis Hochzeit fahren werde oder ob ich es im letzten Augenblick noch lasse. Ich möchte die Kinder eigentlich nicht allein lassen. Sind die glücklich in ihrer Unbeschwertheit! Klaus und Ursel habe ich heute in die Stadt mitgenommen und habe ihnen bei Agner ein Eis spendiert, und Helga durfte wieder schwimmen gehen. Ich will ihnen so viel kleine Freuden machen, wie es geht, denn wer weiß, was kommt. Morgen kriegt Jürgen eine Portion Eis, aber der wird bestimmt unverschämt und verlangt eine zweite.
Nun kommt der Nachrichtendienst. Gute Nacht, mein lieber Mann. Ob Du heute wieder Spätdienst hast?
Viele Küsse,
Deine Lotti