Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 23. Juli 1943

den 23.7.43

Liebster Mann!

Langsam wird es ja doch wohl Zeit, dass die erste Post bei Dir ankommt. Ich nehme auch fest an, dass Du inzwischen Briefe bekommen hast. Deine bekomme ich nämlich. Und dann wirst Du Dir auch wohl den Kopf zerbrechen, warum ich nicht anrufe, und nun ist ja die Sperre da. (Ich hatte Dir damals davon geschrieben) und ich kann Dich ja nicht anrufen.

Heute bekamen wir einen Brief von Frau Heuse vom 11., in dem sie mich und auch Dich zur Hochzeit einlädt. Die Trauung ist am31. oder 2. Ernst hat sieben Tage Hochzeitsurlaub. Falls Du telegrafieren willst: Berlin-Dahlem, Schwarzer Grund 14. Kommen kannst Du ja von Jever aus nicht, wärst Du in Stade gewesen, wäre es vielleicht gegangen. Meinst Du, ich solle zur Hochzeit fahren, oder ist es zu leichtsinnig? Hier haben wir seit meiner Ankunft nicht erst zweimal absolut harmlosen Alarm gehabt, und die Angstpsychose der Leute hat sich auch langsam gelegt.

Aber das Durcheinander mit der Post wird vorläufig noch bleiben, denn weil die Hauptpost ja hin ist, ist eben alles durcheinander. (Ich merke eben, was für einen fürchterlichen Stil ich schreibe. Höchstwahrscheinlich wirken die drei Teller Bohnensuppe so lähmend auf den Geist.

Thea hat gestern morgen dringend angerufen, weil sie sich auch keinen Vers auf unser hartnäckiges Schweigen machen konnte. Und Heuses werden sich ja auch wundern, wenn wir so plötzlich ohne Nachricht ankommen, denn Telegramme laufen auch tagelang. Heute bekam ich eine Mahnung von der Post wegen der Telefongebühren des vorigen Monats. Ich hatte sie auf das Postscheckkonto der Post überwiesen, wie ich das immer mache, bin auch von der Stadtsparkasse dafür belastet worden, aber die Leute sind außerstande, das zu prüfen, weil alle Belege wahrscheinlich mitverbrannt sind. Silbermann hat die Stadtsparkasse auch noch nicht mit meinem Verrechnungsscheck von Ende vorigen Monats belastet, nun warte ich mit der nächsten Abrechnung, bis sie sich in Köln muksen.

Neben mir steht das Bild aus dem Jeverer Wald. Erinnerungen schaffen ist heute so wichtig, besonders wenn man eines Tages vielleicht bloß noch Erinnerungen hat.

Donnerstag werden die Mu und ich dann zur Hochzeit fahren, und offengestanden, ich freue mich drauf. Dann besuche ich aber bestimmt meine Heidi. Schultzens kommen auch nach Berlin. Schade, dass ich Dich nicht dabei haben werde.-

Leutnant Gaisers Gedichte stehen hier auf dem Schreibtisch. Er ist so zwischen Homer und Heliand. Man muss sehr aufpassen. Ich nehme einfach das erste Gedicht:

Die Landnahme.

Riesen auch haben wir in der Vorzeit gehabt, ungebändigte
friedlose Kämpen,
und auch Weiber, in allem, im Guten wie im
Bösen, voll Übermaß,
Hüninnen, hoch in den Schenkeln, breithüftige
Mütter und Rächerinnen, die Herzen vom Brüllen der See
vom Schrei der wilden
Meervögel erfüllt,
Treulos jedem Stärkeren fallend, jedem
heißeren Fechter offen Lager und Tor,
Ihm gegeben, solang er
Immer der Sieger blieb,
Treuste dem Stärksten.

Ordnungen aber
Legten sich, da sie Länder nahmen, die Ahnen auf.
Es heiligten tiefer
Hag sich und Herstatt,
Richtig, wie Szenenwandel
Ging die Schar ihrer Pflüge durchs rauchende Land.
Um ihre Marken
Rollten sie mit gefesteten Schwertern das ernste Los.
Da auch loschen
langsam ihnen verblassend die alten Sinnzeichen aus.
Dumpfheit bedeutend und Dämmer, Umarmung und Fruchtbarkeit,
die Dämonen der Hörigen:
Ihre Götter
schritten auf tönenden Sohlen, die off'nen, hellen,
Locken schüttelnd, ungreifbar am Himmelsrand.

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Wanderndes Korn

In asturischen Tälern,
Fern durch die Batschka, über der Erde Rumäniens
wohin immer die Saat auswarf der schwäbische Stamm

flüstert der Dinkel.
Aber sein Heimatland blieb unsere lichterfüllte
Offene Alb.
Wie oft haben wir gegen die gelben Äcker die Augen
mit den Händen geschirmt, ausruhend vom Tagesbrand,
in der Hitze des Tages hergewandert durchs Korn,
wenn am Abend das Mädchen
braunwangig kam und strähnig
Bier, kornduftend und Brot
vor uns auf den Tisch lud, vom
Laibe stäubend das Mehl
Unsere Sohlen aber knirschten im feinen Sand
auf den Dielen.

Dann wie haben wir Winters oft von den Feldern geträumt.
Den unendlichen:
Raschelnde Stengel.
Niedrig hinflimmernd das Sonnenrad,
Felder aber mit bläulichen Schatten, Feldermit rötlichen
Schatten, streifig erhellt, rotgesprenkeltes Korn,
Ockerne Ähren und weißliche, fleischern umschattete Ähren
Strotzende Ähren, kurgranige, stachlig und prall
fast unzählige Arten, den Dörfern eigen, den Sippen
angeerbtes Geschenk, die ernährende
uralte Frucht.

Wie liebten wir Dich, o schwäbisches Korn. Es haben
Sagen von Dir uns die Großväter oft erzählt:
Einer traf es im Weinberg des Morgens, von himmlische
Vögeln gesät, die goldborstig verschwiegene
fertig flüsternde Frucht.
Oder es fand sie ein anderer, von einem vergessenen
Waldweg herblitzend,
einem wenig betretenen, wo oftmals die Rosse
gingen der Götter, der längst verschollenen
und es erbte der Enkel vom Ahn die gehütete
über Geschlechter hinweg,
bis andermals andere Ähren aufschossen,
verwandelt geschenkte.

Dem aber kam nichts gleich,
als wir hundert Meilen, in weißliche Mais
Hinter den Weizenländern
im Brand des Südostens fanden die Schwabensaat.
Und Dich erblickten, wo auch keine Sage, kein
Laut mehr noch Name vom Swebischen Stamme erzählt:
In den Hügeln Asturiens reifend.
Wie ist er vergangen, der Kronreif des Swebenreiches,
Sporen, gebuckelte Schilde, das lange Reiterschwert.

Dauernder blieb als die braunen Heiter die braune Saat.
In den Tälern Asturiens flüstert der Dinkel.

Das zweite Gedicht deutet ja wohl darauf hin, dass er Schwabe ist.

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Nächsten Freitag kommt unser Kläuschen in die Schule. Dann haben wir bloß noch zwei Kleinkinder.

Stell Dir vor, Omi Endemann hat hinter das Haus auf dem Beet Sellerie gepflanzt. Heute morgen ertönt ein lauter Schrei von ihr, da lagen neben dem sauber geharkten Beet alle Selleriepflänzchen ausgerissen schön auf einem Haufen. Großes Verhör, Klaus gestand dann stockend, dass er es getan habe, worauf er dann auch prompt seine Ohrfeigen und seine Schimpfe bezog. Ich holte ihn mir hinterher und fragte ihn nochmal, und da kam es stockend heraus: Omi hat doch immer gesagt, auf dem Beet ist alles bloß Unkraut, und wie ich das gestern gesehen habe, wollte ich alles wieder schön machen. - Ist er nicht ein Süßer? Da konnte sogar Omi nicht mehr böse sein.

Heute abend gehe ich in den schon lange vorgenommenen Film 'Romanze in Moll' mit Marianne Hoppe (ich werde daran denken, dass ich sie zuletzt mit Dir in der Holzoper gesehen habe) Paul Dahlke, Ferdinand Marian, Siegfried Breuer. So richtig ein Film, auf den man sich freuen kann. Beim Friseur war ich gestern auch, von neun bis halb zwei!!!! Schneider Schmidt aus Ittenbach war vorgestern da und hat mir das Maß zum Jackenkleid genommen (Oberweite blos noch 98!!), da das vom vorigen Jahr nicht mehr stimmte. Und gestern habe ich mit Ursel bei Agner ein wunderschönes Eis gegessen. Das sind lauter Freuden, die aussehen, als ob wir im Frieden leben. Aber dass ich in Jever war, durchzieht doch mein ganzes Ich wie Samt und Seide. 10000 Küsse, Deine Lotti

Wir kriegen auf der Halben ein neues Clo. Das alte ist hin. Schade, dass nicht auch gewkachelt werden kann. Ich musste aber erst auf dem Bauamt eine Bescheinigung holen, dass die nichts dagegen haben.