Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 3. September 1943
an Helgas Geburtstag den 3.9.43
Liebster Mann!
Ich sitze und warte, dass Helga aus der Schule kommt, und den Augenblick will ich nutzen. Du bist die letzten Tage schlecht weggekommen. Aber mir war es gar nicht gut, ich hatte irgendeine Magengeschichte und bin die letzten Abende schon um sieben ins Bett gegangen. Nun geht es mir aber wieder besser.
Helga hat einen Geburtstagstisch, der gar nicht aussieht wie einer an der Schwelle des fünften Kriegsjahres. Ich habe aber auch lange dafür gesammelt. Soll ich alles aufzählen? Aber Du interessierst Dich ja auch dafür. Also: Gulliver bei den Riesen und Zwergen, Kinderbriefpapier, ein Paar Stelzen, ein Puzzlespiel, 2 Paar lange Strümpfe, ein Kleiderstoff für den Winter, Farbstifte und von Tante Hansi 12,- Mk. Dazu haben wir tüchtig Pflaumen- und Apfelkuchen gebacken, und ich habe eine Menge Zwiebäcke mit Guss bezogen. ---- Die Bande steht quietschend und schreiend vor der Türe und wartet auf die Bescherung. Jürgen will durchsetzen, dass er auch mit Geburtstag feiert. Er will überhaupt immer haben, was andere haben.
Helga ist glücklich. Sie warf vorhin mit einem Aufschrei die Arme um mich vor lauter Freude. Und ich genieße es so bewusst, den Kindern recht behagliche und schöne Feste zu bereiten, gerade weil draußen in der Welt alles so grau und schrecklich ist und weil man nicht weiß, wie alles kommt. Helga an ihrem Geburtstag wird heute nicht merken, dass Krieg ist. Sie macht sich nun fertig, um mit ihren Geschwistern in die Religionsstunde zu gehen (so habe ich sie und ihre Freundinnen wenigstens vor dem Kaffeetrinken aus dem Haus), und dann wird unten der Kaffeetisch gedeckt stehen mit Kuchen und Blumen und Kakao. Hinterher wird das neue Puzzlespiel gespielt. Einen Pudding zum Abschluss gibt es allerdings nicht, dazu haben wir nicht die Milch.