Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 6. Oktober 1943

den 6.10.43

Liebster Mann!

Ich schreibe nicht auf der Maschine, weil ich ein Klavierkonzert, gespielt von Wilhelm Kempf, mithören will.

Ich möchte weiter nichts als bei Dir sein. Dass uns die letzten acht Tage so überstürmten! Und in den letzten Tagen nach Deiner Abreise ging es ja wohl ebenso. Ich möchte manchmal stoppen, nur um zu einem seelischen Aufatmen zu kommen, aber es jagt weiter, das Leben und die Tätigkeiten. Krieg eben! Ich glaube, eines Tages wache ich auf und merke, dass ich fünfzig bin. Bis dahin wird wohl so weiter gerannt.

Heute kam der erste Brief. Lass Dir auch keine Pausen dazwischen kommen, wenigstens keine langen.

Wir haben nun Sorge um Hansi. Sie schrieb, dass sie Ernst besuchen wollte und am Montagmorgen zwischen elf und zwölf in Frankfurt/Main

Aufenthalt hätte. Da der Tagesalarm, der ja an dem Tag Frankfurt galt, um 10 ¼ einsetzte, wird sie ihn wohl gründlich mitbekommen haben. Außerdem hörten wir, dass Bahnhof und Altstadt besonders mitgenommen seien. Ich hatte an Ernst telegrafiert, damit er nach Hansi nachforsche, weil sie ihn ja überraschen wollte.

Sind es acht Tage her, dass wir mit Deinem Bundesbruder Ki(e)ckebusch zusammensaßen und vierzehn, dass wir in Marburg zusammen spazierengingen? Ich müsste Zeit haben, alles noch einmal in Gedanken durchzuleben, aber tagsüber werde ich gehetzt, und abends schlafe ich sofort ein, herrlich müde bin ich dann. Harald, wir beide müssen uns jeden Tag wenigstens im Brief treffen. Es ist in dem großen Orkan das einzig Feste, finde ich. Viele liebe Küsse

Deine Lotti.

Der Mutter geht es recht gut.

Klappt die Telefonnummer wieder? Schick das Bildchen wieder. Hansi hat es aufgenommen.