Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 18. Oktober 1943
den 18.10.43
Liebster Mann!
Heute morgen kam ein Brief von Dir, und zwar der, in dem Du schreibst, Du hättest dich über die Taufe amüsiert. Wenn Du schreibst, Du hättest Tränen gelacht, wir haben es auch getan. Omi, lach, habe ich gesagt, denn schließlich bleibt uns nichts anderes übrig.
Gestern haben wir Heidis Geburtstag gefeiert, und Heidi war doch zufrieden damit. Abends nach Tisch habe ich dann mit den beiden Großen Gänsespiel gespielt mit Bonbons. Herr Biederbick hat mir gnädigerweise ein halbes Pfund ohne Zuteilung abgelassen, sie waren aber auch danach. Die hätte man ihm auf Karten nie und nimmer abgekauft. Heidi aß sie gerne, Helga verzichtete dankend.
Mir schießen manchmal Bruchstücke aus dem Sommer durch den Kopf. Dann frage ich mich, ist es eigentlich wahr gewesen, dass ich in Schultzens Küche für Dich und Hans das Mittagessen gekocht habe? Und dann die verunglückte Partie über den Dammschen See. Und wie ich Dich in der kochend heißen Sonne am Thielplatz in Berlin abholte und wir zusammen zu Heuses gingen. Denk doch, wir sind in diesem Sommer über friesische Weidekoppeln gelaufen, über pommersche Wege, durch Berliner Straßen und Vororte und durch hessisches Bergland. Das ist trotz aller Trennung doch ein schönes Ergebnis dieses Sommers.
Du fragst in dem Brief, wann Du Deinen Novemberurlaub nehmen sollst. Also nach dem 8./9. November freue ich mich. Dass eine solche Aussicht besteht, ist doch zu schön. Ich schubse für die Tage dann auch alles nicht unbedingt Notwendige ab. Nach der Reise war das ja etwas anderes. Da musste dann allerlei nachgeholt werden, was nicht noch länger liegenbleiben konnte.
Dass mir dieses so-ganz-im-Haushalt-Aufgehen auch nicht liegt, weißt Du so gut wie ich, die andere Seite finde ich genau so wichtig, aber es ist eben Krieg, und das schluckt mich der Haushalt manchmal auch, da, wo ich es
nicht will, mit Haut und Haar. Genau so ist es mit den Pestbeulen der Kinder. Mit Helga allein bin ich voriges Jahr fertig geworden, aber wenn alle fünf das haben, du lieber Gott! Ich kann pflastern und salben, soviel ich will, immer wieder taucht so ein Eiterknups auf, den ich zu spät entdecke, weil die Blagen es mir nicht von selber sagen oder erst, wenn sie ihn total kaputt gekratzt haben und somit die Erreger an alle möglichen neuen Stellen praktiziert haben.
Schultzens schrieben gestern einen flehenden Brief. Die Mu soll sofort kommen und ihnen ein paar Monate den Haushalt führen. Thea hat Anämie, 48 statt 80 Prozent rote Blutkörperchen und da sie keine Hilfe hat und viel ruhen soll, ist sie nicht fähig, den Haushalt allein zu führen. Die Mu will aber nicht, geht aber vielleicht doch, und ich fände es sehr schade, mit Omi Endemann allein ist es nicht so leicht, weil die die Nerven verliert.
Heute Nachmittag will ich zu Frau Sprock gehen.
Ich lese jetzt wieder mit großem Genuss in dem Buch ´Fontane oder die Kunst zu leben´. Nimm es doch mit, wenn Du wieder aus dem Urlaub zurückfährst. Man kann es so gut stellenweise lesen, weil es Briefe, Aphorismen und kurze, besonders charakteristische Stellen aus seinen Romanen enthält.
Nachdem ich die letzten Tage die Kinder in Gamaschen gesteckt habe, weil es nur 2 Grad waren, haben wir heute mittag 17. Das richtige Wetter, um sich einen Riesenschnupfen zu holen. Dabei denke ich an das Badezimmer. Meinst Du, man könnte einen Kontakt für den elektrischen Ofen dort anbringen? Ich habe am Samstag, als es so kalt war, die Kinder baden müssen, und ich kann sagen, es ist eine Quälerei, besonders für den, der die Kinder badet, so eine Brüllerei herrscht, weil sie frieren, und man kann nicht alle zugleich abtrocknen.
Weißt Du, was ich jetzt möchte? Eine Zigarette rauchen. Ich bin durchaus in der Stimmung, vielleicht verlockt durch das schöne, warme Wetter, mich hübsch anzuziehen, Besuche zu machen und am liebsten mit Dir heute abend ein Glas Wein trinken und nur junge Frau zu sein ohne Markensorgen und beulenbehaftete Kinder. Den Flickkorb werde ich auch verstauen. Lisbeth hat eben wieder einen solchen großen Stoß darauf getan, dass ich das Rennen aufgebe.