Charlotte Endemann an ihren Mann Harald, 5. Januar 1944
den 5.1.44
Mein liebster Mann!
Eben habe ich gebadet und bin nun für eine halbe Stunde an das Wohnzimmer gefesselt und kann nun, trotzdem es zwischen 11 und 12 ist, Briefe schreiben. Ich habe allerlei Briefschulden, habe auch immer die besten Vorsätze, mache mir die Sache schmackhaft, indem ich zu-erst an Dich schreibe, und dann ist mein Bedarf für den Tag an Schreiben gedeckt und die anderen Briefe werden verschoben. So kommt es bestimmt auch heute.
Der Baum steht noch, und durch das graue Wetter draußen und den dünnen Schnee, der fällt, hat das Zimmer etwas sehr Behagliches. Ich hänge doch sehr daran und es würde mir sehr schwer fallen, gerade diese beiden Zimmer aufzugeben.
Die arme Lisbeth hat ein Furunkel im Ohr, mit dem sie sich schon seit elf Tagen plagt. Trotzdem verrichtet sie ihre Arbeit wie immer und lässt sogar nicht davon ab, Küche und Hausflur zu schrubben, trotzdem das wirklich nicht nötig wäre. Ich wünsche ihr wirklich, das Ding ginge auf, aber bis jetzt werden die Schmerzen immer nur noch schlimmer.
Ich habe aus der Linzschen Bibliothek eine ausgezeichnete und sehr interessante Biographie gelesen: von Stutterheim: 'Zwischen den Zeiten.' Dieser Mann, aus altem Adel und mit allen möglichen bekannten Familien verwandt, verbrachte seine Jugend in Coburg, studierte, hatte literarische Neigungen und kam in München mit vielen bekannten Malern und Dichtern in Berührung, arbeitete im Krieg im Elsass und machte die Besetzung mit, kam dann als Redakteur zum Berliner Tagblatt und von dort ins besetzte Rheinland, lernte dort Hatzfeld kennen und kam dann als Berichterstatter nach London, heiratete eine englische Frau und wurde damit verwandt mit Eden und allen möglichen englische Politikern Es ist ein gut geschriebenes Buch, das ich auch unter meinen Büchern haben möchte.
Mittlerweile ist es Essenszeit geworden, weil wir schon wieder einen Alarm hinter uns haben. - - Nun, nach dem Essen, geht die Sirene wieder. Gestern ging sie fünfmal, und man hat sich schon so daran gewöhnt, dass man beinahe am nächsten Tag meint, es sei überhaupt keiner gewesen. Nur Deine Mutter tut mir leid. Es ist jedes Mal eine schreckliche Aufregung für sie und tut ihr bestimmt nicht gut. Heute morgen musste sie in den Keller, weil so viel Flugzeuge überbrummten.
Es alarmt sich aber heute richtig was zusammen. Augenblicklich ist, nachdem ich dies schreibe, um neun Uhr abends schon wieder der dritte seit den beiden heute morgen und mittag beschriebenen im Gang. Somit wären es heute schon wieder fünf ohne die, die in der Nacht und gegen Morgen kommen. Ich wäre sonst heute abend mit Schwingers zu Frau
Hillenbrand gegangen. -
Mutter ist gar nicht gut. Der Doktor war vorhin zum Spritzen da und meinte, er wolle sie Ende der Woche wieder ins Krankenhaus tun. Das Herz will nicht, und sie hat eine leichte Leberschwellung. Mutter ist ganz glücklich, dass sie wieder hin darf. Sie fühlt sich dort so geborgen und sagte auch vorhin wieder, dass sie dort die Alarme nicht stören. - Sie sollte vorgestern zum Doktor zur Spritze gehen, kam aber mit Lisbeths Hilfe nur bis zur Traube und musste dann von ihr und der Gemüsefrau Jülich nach Hause gebracht werden. Und im Krankenhaus kriegt sie abwechslungsreichere Kost.
Bis März sind uns schon mal bestimmt die Eier gestrichen, denn die Bestellscheine sind diesmal überhaupt nicht von den Geschäften angenommen worden. Gemüse gibt es tagaus tagein nicht bei Jülich, und wenn, dann höchstens Wirsing, aber meistens noch nicht einmal den. Das Essen ist infolgedessen sehr eintönig geworden, und man müsste Mutter in diesem Zustand schon mal was Extras geben, einen Apfel oder ein Ei oder wenigstens Endiviensalat. Im Krankenhaus bestehen wenigstens kleine Möglichkeiten der Abwechslung.
Was magst du jetzt tun? Ob Du wieder Spätdienst hast oder ob Du jetzt bei Carels sitzt? Schreibe wann und wo Du kannst. Irgendwie werden die Briefe doch ankommen, Dein liebes Lött